Mitgliederzahlen: Judentum

Das Juden­tum ist eine der ältesten monothe­is­tis­chen Reli­gio­nen der Welt. Die Wurzeln reichen über 3000 Jahre zurück, bis zu den Erzäh­lun­gen über Abra­ham, der in der jüdis­chen Tra­di­tion als Stam­m­vater gilt. Die zen­trale Idee des Juden­tums ist der Glaube an einen einzi­gen, unsicht­baren und gerecht­en Gott, der einen Bund mit dem Volk Israel geschlossen hat. Das wichtig­ste religiöse Doku­ment ist die Tora, die die fünf Büch­er Mose umfasst. Sie ist Teil des Tanach, der dem christlichen „Alten Tes­ta­ment“ entspricht, aber anders aufge­baut ist. Die rab­binis­che Ausle­gung der Tora ist im Tal­mud gesam­melt, einem umfan­gre­ichen Werk, das über Jahrhun­derte hin­weg ent­standen ist und bis heute die jüdis­che Prax­is prägt.

Am Sch­ab­bat – der Ruhetag von Fre­itagabend bis Sam­stagabend – gehen prak­tizierende Juden in die Syn­a­goge zum gemein­samen Gottes­di­enst, der in der Regel auss­chließlich auf Hebräisch abge­hal­ten wird und in dem Frauen und Män­ner in den meis­ten Strö­mungen räum­lich getren­nt sitzen. Zu den wichtig­sten Feierta­gen zählen Pes­sach (Erin­nerung an den Auszug aus Ägypten), Rosch Haschana (Neu­jahr) und Jom Kip­pur (Ver­söh­nungstag). Religiöse Gebote aus der Tora und dem Tal­mud (Halacha) betr­e­f­fen auch Spei­sevorschriften (Kaschrut) und ethis­ches Han­deln. Der Jüdis­che Kalen­der (Halūach haʿIvrī) unter­schei­det sich vom Gre­go­ri­an­is­chen Kalen­der um 3760 Jahre, denn nach jüdis­ch­er Über­liefer­ung wurde die Welt 3760 Jahre v. Chr. erschaf­fen. 

Wie alle Reli­gion­s­ge­mein­schaften ist auch das Juden­tum in sich vielfältig, mit ver­schiede­nen eth­nis­chen Grup­pen und religiösen Strö­mungen. Die wichtig­sten Strö­mungen sind: Refor­mju­den­tum bzw. pro­gres­sives Juden­tum, Kon­ser­v­a­tives Juden­tum und Ortho­dox­es sowie ultra­ortho­dox­es Juden­tum. Sie ent­standen vor allem in Auseinan­der­set­zung mit der Aufk­lärung und dem Wun­sch nach sozialer und wirtschaftlich­er Emanzi­pa­tion, ins­beson­dere in Deutsch­land. Durch die Auswan­derungswellen aus West- und Osteu­ropa im 19. Jahrhun­dert und die Ermor­dung und Vertrei­bung des Großteils der jüdis­chen Bevölkerung in Europa während des NS-Regimes, ver­lagerte sich die wis­senschaftliche und the­ol­o­gis­che Weit­er­en­twick­lung in die USA. Die ver­schiede­nen Strö­mungen unter­schei­den sich vor allem darin, wie die Halacha aus­gelegt und im All­t­ag umge­set­zt wer­den und wer jüdisch sein kann. Ortho­doxe und Kon­ser­v­a­tive Ausle­gun­gen betra­cht­en nur diejeni­gen als jüdisch, deren Mut­ter jüdisch ist. Zwar gibt es im Kon­ser­v­a­tiv­en Juden­tum die Möglichkeit zur Kon­ver­sion, aber nur im Refor­mju­den­tum wer­den auch diejeni­gen als Juden anerkan­nt, die nur einen jüdis­chen Vater haben.

Die offizielle Quelle für sta­tis­tis­che Dat­en zur jüdis­chen Bevölkerung in Deutsch­land ist der Zen­tral­rat der Juden in Deutsch­land. Die ihm zuge­hörige Zen­tral­wohlfahrtsstelle der Juden in Deutsch­land (ZWST) gibt dazu jedes Jahr aktuelle Mit­gliederzahlen her­aus. Daneben gibt es noch die Union Pro­gres­siv­er Juden, die allerd­ings sehr viel klein­er ist. Auf Grund­lage dieser Quellen bemisst sich die jüdis­che Bevölkerung auf rund 90’000 Mit­glieder. 

Das Juden­tum ist allerd­ings mehr als eine Reli­gion im christlichen Sinne, denn bis zur Aufk­lärung wurde nicht zwis­chen einem religiösen und pro­fa­nen Raum unter­schieden. Alles war religiös – von der Geschichte des jüdis­chen Volkes bis zum alltäglichen Leben. Es gibt daher auch heute viele jüdis­che Men­schen, die ihre jüdis­che Iden­tität nicht religiös, son­dern kul­turell oder eth­nisch definieren. Für sie ist es daher kein Wider­spruch, nicht Mit­glied ein­er Syn­a­gogenge­meinde und wom­öglich auch nicht religiös prak­tizierend zu sein und sich den­noch als jüdisch zu ver­ste­hen. Die Gesamtzahl jüdis­ch­er Men­schen in Deutsch­land – mit und ohne formelle Mit­glied­schaft – wird daher häu­fig auf 200’000 geschätzt. 

Diese Annahme lässt sich auch dadurch plau­si­bil­isieren, dass der Großteil der jüdis­chen Men­schen in Deutsch­land in den 1990er Jahren aus der ehe­ma­li­gen Sow­je­tu­nion als soge­nan­nte Kontin­gent­flüchtlinge nach Deutsch­land kam (laut BAMF mehr als 200’000 Men­schen seit 1993). Das Kontin­gent­flüchtlings­ge­setz, das zunächst in der DDR erlassen wor­den war, erlaubte es, ohne for­males Asylver­fahren einen unbe­fris­teten Aufen­thaltssta­tus in Deutsch­land zu erhal­ten. Entschei­dend für das Gewähren des Aufen­thalt­sti­tels war lediglich der Nach­weis, Nachkom­men eines jüdis­chen Eltern­teils zu sein. Jüdis­che Iden­tität wurde also sowohl patri­lin­ear, entsprechend dem sow­jetis­chen Sys­tem definiert, als auch matri­lin­ear, wie die meis­ten jüdis­chen Gemein­den in Deutsch­land bis heute. Sow­jetis­che Juden unter­schieden sich in ihrer Reli­giosität und der Erin­nerungskul­tur an die Shoah deut­lich von den bis dahin in Deutsch­land leben­den Juden. So waren die meis­ten einge­wan­derten Juden kaum religiös sozial­isiert und behiel­ten eine starke Iden­ti­fika­tion mit ihren Herkun­ft­slän­dern und ihrer rus­sis­chen Mut­ter­sprache. Sie waren außer­dem nicht mit dem Nar­ra­tiv ein­er his­torischen Schuld, son­dern einem Sieg über Hitler-Deutsch­land aufgewach­sen, was sich deut­lich von der Erin­nerungskul­tur West­deutsch­lands unter­schied.

Seit den 2000er Jahren zog es auch viele mehrheitlich junge jüdis­che Men­schen aus Israel nach Deutsch­land, ins­beson­dere Berlin. Die Zahl lässt sich nur schw­er schätzen; sie reicht von 6000 bis 30’000.

Ins­ge­samt rech­net REMID aktuell (Stand 2022) mit 90.885 Jüd*innen. Die “Jüd*innen ohne Gemein­dezuge­hörigkeit” sind in dieser Zahl nicht enthal­ten. Für die soge­nan­nten “mes­sian­is­chen Jüd*innen” siehe unter Son­stige.

Jüdische Gemeinden

90885
2022/ ZWST. Schlüs­sel als KdÖR (einige Gemein­den altko­r­pori­ert): ikg, j, isnw, sg oder jgd.

Sta­tis­tis­che Entwick­lun­gen

JahrMit­gliederzahlRück­gang
202290.885-2.810
202093.695-1.076
201994.771-1.554
201896.325-1.466
201797.791-809
201698.600-1.101
201599.701-742
2014100.443-901
2013101.344-797
2012102.141-662
2011102.803-1227
2010104.030-1227
2007105.257/

Mit­glieds­ge­mein­den im Zen­tral­rat der Juden in Deutsch­land. Davon Zuwanderer*innen aus Osteu­ropa 2007 (REMID): ca. 101.000

Juden ohne Gemeindezugehörigkeit

90.000
2007 / REMID.

Durch Zuwan­derung aus Osteu­ropa nach Deutsch­land gekom­men, religiös­er Sta­tus im Sinne der jüdis­chen Reli­gion­s­ge­set­ze oft unklar.

Union progressiver Juden (UpJ)

4.000–4.500
in 9 Gemein­den, 2023
2025 / Medi­en­di­enst Inte­gra­tion.

Sta­tis­tis­che Entwick­lun­gen:

JahrMit­gliederzahlZuwachs
20205.200+200
20125.000+500
20074.500+1500
20043.000/
JahrAnzahl an Gemein­den
202025
201526
201224
200721
200415

Die Gemein­den der UpJ sind zum Teil über Lan­desver­bände Mit­glied im Zen­tral­rat der Juden in Deutsch­land. Sie ist seit dem 30. Sep­tem­ber 2015 eine Kör­per­schaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in Biele­feld.

Quellen:

Bat­nitzky, Leo­ra Faye. 2011. How Judaism became a reli­gion: an intro­duc­tion to mod­ern Jew­ish thought. Prince­ton Uni­ver­si­ty Press.

Bren­ner, Michael. 2011. „Religiöse Erneuerung und Säku­lar­isierung. Ein Überblick“. Archiv für Sozialgeschichte 51: Säku­lar­isierung und Neu­formierung des Religiösen. Gesellschaft und Reli­gion seit der Mitte des 20. Jahrhun­derts: 225–35.

Del­la Per­go­la, Ser­gio. 2019. „World Jew­ish Pop­u­la­tion, 2018“. Amer­i­can Jew­ish Year Book, Amer­i­can Jew­ish Year Book, Bd. 118: 361–499. https://doi.org/10.1007/978–3‑030–03907‑3.

Kaplan, Mar­i­on. 1994. „What is ‚Reli­gion‘ among Jews in Con­tem­po­rary Ger­many?“ In Reemerg­ing Jew­ish cul­ture in Ger­many: life and lit­er­a­ture since 1989, her­aus­gegeben von Sander L. Gilman und Karen Remm­ler. New York Uni­ver­si­ty Press.

Kaud­ers, Antho­ny D. 2007. Unmögliche Heimat: eine deutsch-jüdis­che Geschichte der Bun­desre­pub­lik. 1. Aufl. Deutsche Ver­lags-Anstalt.

Kiesel, Kieron. 2010. „Neuan­fänge: Zur Inte­gra­tion jüdis­ch­er Zuwan­der­er aus der ehe­ma­li­gen Sow­je­tu­nion nach Deutsch­land“. In Juden in Deutsch­land, Deutsch­land in den Juden: neue Per­spek­tiv­en, her­aus­gegeben von Y. Michal Bode­mann und Micha Brum­lik. Wall­stein.

Kör­ber, Karen. 2017. „Con­test­ed Dias­po­ra: Nego­ti­at­ing Jew­ish Iden­ti­ty in Ger­many“. In Dias­po­ra as Cul­tures of Coop­er­a­tion, her­aus­gegeben von David Car­ment und Ari­ane Sad­jed. Springer Inter­na­tion­al Pub­lish­ing. https://doi.org/10.1007/978–3‑319–32892-8_2.

Mahla, Daniel. 2021. „Juden in Deutsch­land und der Staat Israel“. bpb.de. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/juedisches-leben-348/juedisches-leben-348/341633/juden-in-deutschland-und-der-staat-israel/.

Solomon, Nor­man. 2022. Das Juden­tum: eine kleine Ein­führung. Über­set­zt von Ekke­hard Schöller. Reclams Uni­ver­sal-Bib­lio­thek Sach­buch, Nr. 14268. Reclam.

Stem­berg­er, Gün­ter. 2015. Jüdis­che Reli­gion. 7., Durchge­se­hene Auflage. Ver­lag C.H. Beck.

Blogbeiträge zum Thema Judentum