REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Was ist Religionswissenschaft?
Selbstverständnis
Religionswissenschaft ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das sich mit der wissenschaftlichen Erforschung von Religionen und religiösen Phänomenen befasst. Es untersucht verschiedene Aspekte von Religionen, wie ihre Entstehung, Entwicklung, Praktiken, Glaubenssysteme und soziale Auswirkungen. Religionswissenschaftler*innen verwenden dabei verschiedene Methoden aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, um ein umfassendes Verständnis von Religionen zu erlangen.
Unterschied zwischen Religionswissenschaft und Theologie
Es ist wichtig anzumerken, dass die Religionswissenschaft keine Bewertung oder Beurteilung von Religionen vornimmt, sondern vielmehr versucht, sie objektiv zu analysieren und zu erklären. In diesem Sinne unterscheidet sich die Religionswissenschaft auch von der Theologie (von altgriechisch theós ‚Gott‘ und lógos ‚Wort, Rede, Lehre‘). Während die Theologie (z.B. evangelisch, katholisch, jüdisch oder islamisch) primär aus einer Innenperspektive betrieben wird und unter anderem Glaubensfragen oder Fragen nach Auslegung nachgeht, nimmt die Religionswissenschaft eine Außenperspektive ein. Für Religionswissenschaftler*innen ist der Wahrheitsgehalt von religiösen Ideen uninteressant; diese Herangehensweise wird auch als methodischer Agnostizismus bezeichnet (siehe unten). In der Rolle der Beobachterin analysiert die Religionswissenschaft Religionen als gesellschaftliche Phänomene aus soziologischer, psychologischer, philologischer oder historischer Perspektive.
Sind Religionswissenschaftler*innen selbst religiös?
Religionswissenschaftler*innen können gläubig sein und einer bestimmten religiösen Tradition angehören, Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Gefühlen empfinden oder aber überzeugte Atheist*innen und Religionskritiker*innen sein. In wissenschaftlichen Unterfangen sollte diese privaten Überzeugungen soweit “ausgeklammert” werden, sodass diese nicht die Wertneutralität der eigenen Forschung beeinflussen. Selbstverständlich kann es sich hierbei immer nur um einen Anspruch handeln: Jede Person ist unweigerlich von dem eigenen sozialen und kulturellen Hintergrund geprägt, dennoch sind Religionswissenschaftler*innen stets geboten, sich selbst und ihren Standpunkt zu reflektieren, sodass eine möglichst objektive Herangehensweise sicher gestellt wird.
Was ist eigentlich Religion?
Die meisten Menschen haben eine bestimmte Vorstellung davon, was “Religion” ist. Studierende der Religionswissenschaft werden jedoch gleich zu Anfang ihres Studiums damit konfrontiert, dass keine allgemeingültige Definition von “Religion” existiert. Verschiedene Ansätze versuchen auf unterschiedliche Weise zu erklären, was Religion ist und was nicht. Aus funktionalistischer Sicht wird danach gefragt, was Religion leistet und welche gesellschaftlichen oder psychologischen Funktionen sie erfüllt (z.B. Sinnstiftung, Kontingenzbewältigung, Gemeinschaftsbildung). Essentialistische Perspektiven versuchen hingegen das Wesen, also die primär auszeichnende Eigenschaft, von Religion festzumachen (z.B. “Glaube an Gott”, “überirdische Mächte”). Polythetische Definitionsversuche wiederum gehen von mehreren Merkmalen aus, welche nicht gleichermaßen bei allen “Religionen”, sondern je nach “Religion” mehr oder weniger festzustellen sind (z.B. “heilige” Texte, Verhaltensvorschriften).
In westlichen Ländern ist das Bild von “Religion” primär durch abrahamitische (d.h. jüdisch-christlich-islamische) Vorstellungen geprägt. In diesem kulturellen Kontext stehen vor allem der persönliche Glaube an einen Gott (“JHWH”, “Allah”), der Rückgriff auf ein “heiliges Buch” (Tora, Bibel, Koran) und die Zentralität eines Religionsstifters (Moses, Jesus, Mohammed) im Vordergrund. Außerhalb europäischer und nahöstlicher Grenzen gestaltet sich die religiöse Landschaft allerdings deutlich komplexer, weswegen viele Kategorien und Konzepte aus Judentum, Christentum und Islam sich nicht ohne Weiteres auf andere religiöse Traditionen anwenden lassen.
“Religion” beispielsweise als “Glaube an Gott” zu definieren, würde deswegen zu kurz fassen, weil es eine große Anzahl von Glaubensüberzeugungen ausschließt, welche entweder gar keinen “Gott” aufweisen oder diesem Konzept eine signifikant andere Bedeutung zu sprechen. Ebenso sind Begriffe wie “Glaube an überirdische Mächte”, “Transzendenz” oder “Heiliges” entweder zu ungenau und weitläufig oder entstammen sehr spezifischen kulturellen Kontexten (zumeist eurozentrischen) und sind nicht ohne Weiteres auf andere Sprachen und Kulturen anwendbar.
Grundsätzlich verhindert das Definitionsproblem aber nicht, dass religionswissenschaftliche Forschung möglich ist. Entweder ist die Frage danach, was Religion ist, nicht relevant für das Vorhaben (z.B. falls eine konkrete Praxis einer bestimmten Gruppe von Menschen analysiert werden soll) oder es wird auf eine Rahmen- oder Arbeitsdefinition zurückgegriffen. Mit diesen wird keine Allgemeingültigkeit beansprucht, sie können aber zu Gunsten von Nachvollziehbarkeit genutzt werden.
Nach wie vor ist die Definitionsfrage von “Religion” nicht gelöst und daher weiterhin Gegenstand religionswissenschaftlicher Fachdiskussionen.
Geschichte der Religionswissenschaft
Auch wenn die Religionswissenschaft ihre Wurzeln in der Zeit der Aufklärung und geographisch vor allem in England, Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien hat, etablierte sie sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts als eigenständiges Fach an Universitäten. Bis heute hat die Religionswissenschaft verschiedene Ausprägungen und ideengeschichtlichen Veränderungen durchlaufen.
Vorformen — Herausbildung einer eigenen Disziplin
In der protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts nahm das Interesse an anderen Religionen einerseits mit der vergleichenden Konfessionskunde, andererseits mit dem von dort übernommenen Interesse an einem universalreligiös verstandenen Phänomen der „Mystik“ zu. Aus den frühen Sozialwissenschaften wurden evolutionistische Stufenmodelle entlehnt, um die Religionen der Welt darauf als unterschiedlich entwickelt einzuordnen. Dabei wurde die sogenannte Schule der Religionsphänomenologie besonders wichtig, deren Anliegen es war, vergleichend Phänomene einer internationalen Religion im Singular dingfest zu machen: “das Heilige”, “die Mystik“ und “die Besessenheit“, “das Gebet“ oder “das Gespenst”. Moderne Religionswissenschaftler*innen untersuchen demgegenüber nicht „Religionen“ im Sinne von metaphysischen, objektiv vorhandenen Phänomenen, sondern empirisch Vorhandenes wie die Mitglieder oder Anhänger*innen einer Religionsgemeinschaft.
- Edward Burnett Tylor: Primitive Culture (1871) / Die Anfänge der Cultur. Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte (1873).
- William Robertson Smith: The Religion of the Semites (1889, dt. 1899).
- James George Frazer: The Golden Bough. A Study in Comparative Religion (1890).
- William James: The Varieties of Religious Experience: A Study in Human Nature (1902).
- Gerardus van der Leeuw: Die do-ut-des-Formel in der Opfertheorie (in: Archiv für Religionswissenschaft, Bd. 20, 1920/21, S. 241–253).
- Gerardus van der Leeuw: Einführung in die Phänomenologie der Religion (1925),
Hans Jonas: Gnosis und spätantiker Geist I: Die mythologische Gnosis (EA 1930 als „Der Begriff der Gnosis“). - Paul Radin: Trickster. A Study In American Indian Mythology (1956, mit Karl Kerényi und Carl Gustav Jung).
- Mircea Eliade: The Sacred And The Profane (1957).
Der Linguistic Turn
Bereits Immanuel Kant sprach in der Vorrede der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ von 1787 davon, dass eine „Umänderung der Denkart“ in der Philosophie ebenso zu vollziehen sei wie bei Kopernikus in der Kosmologie oder bei Euklid in der Geometrie. Es geht darum, nicht mehr „Dinge an sich“ selbst zu beschreiben, sondern die Bedingungen der Möglichkeit, über diese Dinge zu sprechen. Ludwig Wittgenstein revidiert schließlich im „Tractatus logico-philosophicus“ (1918) die in der Philosophie bzw. Erkenntnistheorie zuvor angenommene, statische Abbildtheorie der Sprache. Sprache bildet nicht einfach die wirklichen Dinge ab, in seinen späteren Schriften empfiehlt Wittgenstein die Vorstellung unabhängiger „Sprachspiele“, deren Regeln nur durch gesellschaftlich vermittelte Erfahrung, nicht aber als Resultat einer wesensmäßigen Essenz begriffen werden könnten.
In der Religionswissenschaft wurde zunächst die Idee, wesensbezogene (essentialistische) Aussagen über „die Religion“ im Singular treffen zu können, kritisiert, mit dem linguistic turn begann die Diskussion des Faches um die Bedingungen der Möglichkeit der Definition seines Gegenstandes. Die Philologien „außereuropäischer“ Religionstraditionen begegneten darauf der zuvor durch die Religionsphänomenolog*innen erstellten Terminologie und ihrer wertenden Hierarchie der Religionstraditionen kritisch. Übersetzungstheoretische Fragen, genealogische Rekonstruktionen europäischer Religionsgeschichten und aus der Vergleichspraxis gezogene Unterschiede von christlichen Perspektiven auf Religionen zu anderen Perspektiven (Orthodoxie vs. Orthopraxis, Heilige Schriften einer Offenbarung vs. religiöse Erfahrung im Ritual, Theologie der Religionsexpert*innen vs. sogenannte „Laienfrömmigkeit“, Kirchenfrömmigkeit vs. Unsichtbare Religion) bildeten schließlich den Inhalt einer Selbstreflexion des Faches nach der Erfahrung seiner Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus. Entgegen jeder Vereinnahmung der Disziplin zur Gottessuche bzw. zur Entwicklung einer Metareligion wurde ein methodischer Agnostizismus empfohlen, sich in der Beschreibung von Religionsgemeinschaften einer (metaphysischen) Wertung zu enthalten.
- Kurt Rudolph: “Die ‘ideologiekritische’ Funktion der Religionswissenschaft” (Numen 1978, extern); eine Ausgabe der Zeitschrift für junge Religionswissenschaft von 2007 versucht mit ihren Beiträgen, das Plädoyer Rudolphs kritisch zu aktualisieren.
- In dieser Periode spielten auch die religionsbezogenen Schriften Sigmund Freuds Totem und Tabu (1913), Die Zukunft einer Illusion (1927) und Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939) eine Rolle für funktionale Bestimmungen von Religion, ebenso wie Les formes élémentaires de la vie religieuse. Le système totémique en Australie vom Emile Durkheim (1912). Man siehe auch die Werke von Marcel Mauss, insbesondere „Die Gabe“ (Essai sur le don, 1923/24; engl. „The Gift“, 1967).
- Im Hintergrund steht hier auch der Einfluss früher religionskritischer Schriften wie Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums (1841), Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843/44), Thesen über Feuerbach (1845) und das Kapitel Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis (Kapital I, 1867) sowie Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft (1887).
- Thomas Luckmann schließlich entwickelte den Sozialkonstruktivismus mit The Social Construction Of Reality (1966) und Invisible Religion (1967; vgl. Knoblauch: Die Verflüchtigung der Religion ins Religiöse. Thomas Luckmanns Unsichtbare Religion, 1991).
- Andere Einflüsse kommen von Aby Warburg: Die Erneuerung der heidnischen Antike [Band I, Band II]. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance (1932). Oder von Walter Benjamin: Fragment Kapitalismus als Religion (1921).
- Ein Anwendungsbeispiel einer historisch-philologisch motivierten Kritik ist Rainer Flasche: Der adoptierte Gott (Africana Marburgensia 17, 1998).
- Vereinnahmungen von Religionswissenschaft, Indologie oder Volkskunde behandeln Fritz Heinrich: Die Deutsche Religionswissenschaft und der Nationalsozialismus. Eine ideologiekritische und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung (2001) sowie Horst Junginger (Hrsg.): The Study of Religion under the Impact of Fascism (2008).
Sozialwissenschaftliche oder qualitative Wende
Mit den 1970er/1980er Jahren erreichte der sogenannte sociological turn die Religionswissenschaft. Statt der heiligen Schriften und Gebrauchstexte „außereuropäischer“ Religionstraditionen (und der ihnen zugehörigen Materialität in religionskundlichen Sammlungen) wurde die religiöse Vielfalt der Gegenwart zum Forschungsgegenstand: einerseits die Diaspora-Gemeinden der sogenannten „Weltreligionen“ in den Metropolen der industrialisierten Länder, andererseits die Neuen Religiösen Bewegungen, die als „Sektendebatte“ durch hegemoniale Religionsgemeinschaften u.a. thematisiert worden waren.
Das bisherige Primat von philologischen und kritisch-historischen Methoden wurde an einigen Standorten abgelöst durch insbesondere qualitative Sozialforschung sowie Disziplintransfers aus Anthropologie, Soziologie, Kulturwissenschaft und Psychologie. Lokale Religionsforschung konnte die religiöse Vielfalt einzelner Städte, Landkreise oder Bundesländer aufzeigen. Mit teilnehmender Beobachtung und narrativen Interviews werden Neue Religiöse Bewegungen oder Konvertit*innen in den Islam untersucht. Mit Diskursanalyse und Grounded Theory werden im weiten Sinne als religiös beschreibbare gesellschaftliche Medienereignisse oder Praxen alternativer Spiritualität bearbeitet, dem Ideal einer „Dichten Beschreibung“ (Clifford Geertz) verpflichtet.
- Man vergleiche auch den Aufsatz „Methoden für die Religionswissenschaft. Professionalisierung und Fachidentität“ (2013) von Steffen Führding in der Zeitschrift für junge Religionswissenschaft.
- Für besondere Fragestellungen siehe das Kapitel „1.2 Comparison“ von Michael Stausberg, aus: Ders. und Steven Engler (eds), The Routledge Handbook of Research Methods in the Study of Religion (2011) sowie „Die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts. Der »spirituelle Wanderer« als Idealtypus spätmoderner Religiosität“ von Winfried Gebhardt, Martin Engelbrecht und Christoph Bochinger (In: Zeitschrift für Religionswissenschaft [ZfR] Bd. 13 , 2005, Heft 2, S. 133–151) und Hubert Knoblauch: Soziologie der Spiritualität (in: ebd., S. 123–133).
- Klassische Sozialstudien sind Bronislaw Malinowski: Argonauts Of The Western Pacific. An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea (1932) oder William Foote Whyte: Street Corner Society. The social Structure of an Italian Slum (1943).
Neue soziale Bewegungen: Diskriminierungsforschung & Gender Studies
Diese qualitative oder sozialwissenschaftliche Wende hatte auch damit zu tun, dass die politische Debatte der 1968er ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber traditioneller Autorität und damit dem Primat der Schrift und der Geschichte begünstigte. Die philologischen und historischen Methoden repräsentierten jetzt ein Etablishment, das blind schien für aktuelle Entwicklungen. Disziplingeschichtlich bedeutet das konkret die Kritik an einer etablierten Kanonizität klassischer Heiliger Schriften (entsprechend der „Weltreligionen“), gesteigert noch in der kolonialismuskritischen Version des Misstrauens gegenüber Missionarstexten zu anderen Religionen. Nur die Methoden von Soziologie und Anthropologie (bzw. Kulturwissenschaft) eröffneten gegenüber den verstaubt wirkenden Gegenständen der philologischen und historischen Fachvertreter*innen neue Möglichkeiten, eine gelebte religiöse Gegenwartskultur zu erforschen.
Das hat auch noch in einer weiteren Hinsicht eine grundsätzlich emanzipatorische Dimension. So wie das Interesse an einem radikal anderem „Gegentext“ zu demjenigen der einstigen Missionare wuchs, gilt es im Sinne der Frauenemanzipation statt „history“ (his story) auch „herstory“ zu erzählen. Das fängt damit an, dass oft nur männliche Initiationsriten erloschener Religionsformen überliefert sind, da die sie aufzeichnenden Forscher Männer waren. Grundsätzlich beginnt die Erforschung von struktureller Benachteiligung von Minderheiten im Religionsdiskurs – oder parallel von bislang marginalisierten Forschungsgegenständen – eine entscheidende Rolle einzunehmen.
- Vergleiche auch Doris Bachmann-Medick: Jenseits der Konsensgemeinschaft – Kulturwissenschaft im ‘socio-political turn’? (in: Till Breyer et al. [Hrsg.]: Monster und Kapitalismus. Zeitschrift für Kulturwissenschaft. 2017/2, S. 105–110).
- In Bezug auf „alternative“ oder „Gegenkulturen“ wie die „Hermetic Tradition“ siehe auch Burkhard Gladigow: Europäische Religionsgeschichte seit der Renaissance (in: zeitenblicke 5, 2006, Nr. 1: „Das dramatisch Neue in der Europäischen Religionsgeschichte ist nicht so sehr ein Pluralismus von Religionen, sondern ein ‚problemloser‘ Pluralismus von Religionstypen“; ähnlich zuerst 1995) sowie Michael Bergunder: Was ist Esoterik? Religionswissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Esoterikforschung (in: Aufklärung und Esoterik, hrsg. von Monika Neugebauer-Wölk 2008, S. 477–507).
- Außerdem sei das Handbuch „Diversity Kompetenz“ (Band 2: Gegenstandsbereiche, 2016) von Petia Genkova und Tobias Ringeisen (Hrsg.) empfohlen.
Religionswissenschaft und Postmoderne
Die meisten Entwicklungen, die innerhalb der Fachgeschichte als „postmodern“ bezeichnet werden können, wurden bereits zuvor genannt: die Annahme einer Relativität der Wahrheit ist bereits in der Antike bekannt und hier spätestens mit Ludwig Wittgenstein gegeben; entsprechend alt ist der Streit um eine Definition des Fachgegenstandes „Religion“; der Einfluss des Postkolonialismus verbleibt zunächst oft auf der Ebene eines Gedankenspiels bzw. eines Exkurses ausgewiesener Selbstreflexivität. Als besonders „radikal“ gilt Russell McCutcheon, der seinen Kolleg*innen vorwirft, „immer noch in den Fallstricken der Religionsphänomenologie verfangen zu sein, auch wenn sich vielleicht die verwendeten Begrifflichkeiten verändert haben“. Es ließe sich also eher von einem Annäherungsprozess sprechen, welcher bislang nur in Ausnahmen auf Lyotard, Derrida oder Foucault, kritische Theorie oder Queer Theory rekurriert, aber insgesamt eher einem Paradigma des Pluralismus oder Variantismus nahesteht.
- Im Hintergrund stehen die Texte der Kritischen Theorie, insbesondere Herbert Marcuse: One-Dimensional Man (1964, „Der eindimensionale Mensch“) und Theodor W. Adorno und Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung (1944).
- Man siehe auch im Besonderen für die Religionswissenschaft Tomoko Masuzawa: The Invention of World Religions: Or, How European Universalism Was Preserved in the Language of Pluralism (2005).
- Eine poststrukturalistische Kritik an „Orientalismus“ formuliert Edward W. Said: Orientalism (1978).
- Zu Jan Assmann: Moses der Ägypter (1998), Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus (2003) vgl. seine Aufsätze Klarstellung (2000) und Neufassung (2015).
Methoden
Die Religionswissenschaft versteht sich heute als empirische Kultur- und Geisteswissenschaft, welche Daten mit Hilfe von Beobachtungen, Befragungen, Inhaltsanalysen oder Experimenten erhebt. Die Religionswissenschaft verwendet verschiedene qualitative wie quantitative Methoden, um Religionen zu erforschen und zu analysieren. Dazu gehören historische, anthropologische, soziologische und philosophische Ansätze. Historische Methoden helfen dabei, die Entstehung und Entwicklung von Religionen im Laufe der Zeit zu verstehen. Anthropologische Methoden kommen zur Anwendung, wenn es um die Untersuchung religiöser Praktiken und Rituale in verschiedenen Kulturen geht. Soziologische Methoden werden relevant, wenn die Rolle von Religion in der Gesellschaft analysiert werden soll. Mittels philosophischer Methoden werden religiöse Konzepte und Glaubenssysteme erforscht und interpretiert. In der kognitiven Religionswissenschaft, welche Religion auch hinsichtlich evolutionärer und biologischer Merkmale untersucht, kommen zudem Ansätze aus den Neurowissenschaften zur Anwendung.
Literatur
Hier finden Sie eine Übersicht über Einführungswerke und weitere religionswissenschaftliche Literatur zu Themen, Methoden und Geschichte der Disziplin. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Braun, Willi/ McCutcheon, Russell T. (2000): Guide to the Study of Religion, London.
- Flasche, Rainer (1991): Der Irrationalismus in der Religionswissenschaft und dessen Begründung in der Zeit zwischen den Weltkriegen. In: Kippenberg, Hans G. / Luchesi, Brigitte: Religionswissenschaft und Kulturkritik, Marburg, S. 243–257.
- Hock, Klaus (2014): Einführung in die Religionswissenschaft, Darmstadt.
- Kippenberg, Hans G. / von Stuckrad, Kocku (2003): Einführung in die Religionswissenschaft: Gegenstände und Begriffe, Beck.
- Knott, Kim (2005): Insider/outsider perspectives. In: Hinnels, John R. (ed.): The Routledge Companion to the Study of Religion, London, New York, S. 243–258.
- McCutcheon, Russel T. (2014): Religionswissenschaft. Einführung und Grundlagen. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Steffen Führding, Frankfurt am Main u.a.
- Michaels, Axel (2004): Klassiker der Religionswissenschaft, München.
- Rudolph, Kurt (1992): Geschichte und Probleme der Religionswissenschaft, Leiden, S. 37–66.
- Stauberg, Michael (2012): Religionswissenschaft (De Gruyter Studium), Berlin.
- Tworuschka, Udo (2014): Einführung in die Geschichte der Religionswissenschaft, Darmstadt.