REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Kurzinformation Religion: Yezidentum
Begriff
Der Name “Yezid” (andere Schreibweise Jesid, urspr. Êzidî) könnte sich aus dem Kurdischen oder von dem iranischen yazd/yezdan für Gott, Schöpfer ableiten, wird aber auch mit Jazid I, Kalif von 680–83, in Verbindung gebracht. Die yezidische Sprache ist ein Dialekt des Kurdischen in der indo-iranischen Sprachfamilie. Yezid*innen gehören fast ausschließlich der kurdischen Ethnie an. Das Yezidentum (Yezidismus) ist gleichzeitig eine erbliche Religion als auch eine Gesellschaftsform.
Geschichte
Die Ursprünge der yezidischen Religion sind unklar. Nach Eigendarstellung handelt es sich um eine der ältesten Religionen der Welt. Wahrscheinlich ist eine Mischung von Elementen aus Mithraismus, Zorastrismus, Islam, Sufismus, Judentum und orientalischem Christentum. Mit dem eigentlichen Gründer bzw. Reformator, dem Sufi Sheik Adi ben Musafiz (*ca. 1075 — †1160), erhält die Geschichte der Yezid*innen ein erstes sicheres Datum. Er gründete den Adawiya-Orden, der schließlich von der islamischen Orthodoxie verfolgt wurde. Sein Grabmal in Lalish im nördlichen Irak gilt als zentrales Heiligtum.
Als Teil des kurdischen Volkes wurden und werden die Yezid*innen in ihren Heimatländern in mehrfacher Hinsicht verfolgt: ethnisch, politisch und religiös. Muslim*innen interpretieren die Anbetung des Engel-Pfaus als ein Zeichen, dass der yezidische Glaube nicht monotheistisch sei. Die Verfolgungen führten zu einer starken Geheimhaltung der Religion (sog. Arkanreligion) durch rigide Abschottung bzw. Annahme außeryezidischer Praktiken, um nicht nach außen aufzufallen. Dadurch entstanden regionale Unterschiede. Das Verhältnis zu Christ*innen gestaltete sich gut, viele Yeziden halfen ebenfalls bedrohten Armenier*innen.
In der Türkei sah die Türkifizierung Atatürks 1923 zwar Minderheitenrechte vor, wandte diese jedoch auf die Kurd*innen, die bis vor kurzem als “Bergtürken” diffamiert wurden, insbesondere yezidische Kurd*innen, nicht an. Morde, Vergewaltigungen und Vertreibungen in kurdischen bzw. yezidischen Dörfern durch das Militär wurden nicht geahndet. Die Bestrebungen der Türkei um eine Aufnahme in die EU stärken die Eigenständigkeit des Kurden- bzw. Yezidentums, z. B. deren Sprache und eigene Medien.
Im Iran griff die Armee unter Chomeni zahlreiche kurdische Städte und Dörfer an. Im Irak waren die Kurd*innen unter Hussein massiven Angriffen ausgesetzt. Ihre Position verbesserte sich nach den Golf-Kriegen durch die Errichtung der UN-Schutzzone und Unterstützung der USA. Bei den Wahlen 2005 zogen Kurd*innen in das Parlament ein und stellten den Staatspräsident. In Syrien stoppte Assad die vorangegangenen Diskriminierungen, aber die Rechte der Kurd*innen sind bis heute nicht wieder hergestellt. In Aserbaidschan und Armenien zwang der Krieg zwischen den beiden Ländern 1994 viele Kurd*innen zur Flucht.
Lehre
Die yezidische Religion ist monotheistisch. Neben Gott kann keine zweite Macht existieren, daher gibt es auch keine Gestalt des Bösen. Allein das Aussprechen des Namens des Bösen (Teufels) würde die Allmächtigkeit Gottes anzweifeln. Der heilige Engel Pfau (Taus‑i Melek) hatte nach einer Legende in 7000 Jahren mit seinen Reuetränen sieben Krüge gefüllt, mit denen das Höllenfeuer gelöscht wurde. Seitdem gibt es keine Hölle und keine Höllenstrafen mehr, das Böse ist überwunden. Durch diese besondere Huldigung Gottes erkor ihn dieser als eine Art Stellvertreter und zum Oberhaupt der sieben Engel. Durch die frühere Verbannung des Engel Pfaus in die Hölle entstand fälschlicherweise die abwertende Außenbezeichnung “Teufelsanbeter”.
Der Mensch gilt als selbstverantwortlich für sein Handeln, Gott gab ihm die dafür erforderlichen Fähigkeiten.
Das Yezidentum kennt die Seelenwanderung. Sie wird vom sog. Jenseitsbruder bzw. ‑schwester, eine Art “Pate”, begleitet, der/die religiöse Zeremonien, insbesondere die Totenzeremonie begleitet und eine moralische Mitverantwortung für die Taten übernimmt.
Das Yezidentum verfügt über keine Institution oder Struktur, die Inhalte und Praktiken verbindlich theologisch und sozial normativ definiert.
Die Religion wird mündlich tradiert, Lieder und Bräuche spielen eine wichtige Rolle. Inzwischen wurden jedoch zwei Bücher entdeckt, das Buch der Offenbarung (Kiteba Celwa) und die Schwarze Schrift (Meshefa Resh), die aber nie die Aufgabe hatten, die Religion zu vermitteln. Die Originale sind verschollen, die gefundenen Abschriften gelten auch nicht als authentisch, haben aber in der yezidischen Diaspora Bedeutung für die Erhaltung der Religion.
Gegenüber anderen Religionen verhält sich das Yezidentum tolerant, es gibt keine Überlegenheitsvorstellungen oder Missionierungsgedanken.
Wichtige Elemente der religiösen Praxis
Aufgrund der Geheimhaltung der Religion auch vor den eigenen Angehörigen haben sich über die Jahrhunderte religiöse Elemente und (kurdische) Traditionen verknüpft.
Scheich Adi führte ein Kastenwesen ein, das als Schutzfunktion vor äußerer Bedrohung der Selbsterhaltung dienen sollte. Heiraten sind nur innerhalb der Kaste möglich (Endogamie). Das allgemeine Volk wird als Murid bezeichnet, ihnen sind nur die Rituale bekannt. Die Kaste der Geistlichen unterteilt sich in die Sheik und Pir. Jedem Laien ist ein Geistlicher zugeordnet, der ihn religiös betreut. Die Bewahrung der Religion ist somit nur durch den engen Kontakt zwischen den Kasten möglich. An der Spitze der yezidischen Gesellschaft steht als weltlicher Führer ein Emir, zudem gibt es einen obersten Geistlichen, den Baba.
Ein Abwenden von der Religion oder eine Heirat außerhalb (Exogamie) bedeutet den Ausschluss aus der yezidischen Gesellschaft, mitunter sogar Tod. Wohl auch um das Fortbestehen der Gesellschaft zu sichern, spielt der Ehrbegriff eine zentrale Rolle. Bereits bei Gerüchten um einen Verstoß gegen yezidische Regeln und damit eine Verletzung der Ehre ist Blutrache geübt worden.
In manchen Regionen wurden zur “Anpassung” christliche Wassertaufen oder islamische Beschneidungen durchgeführt. Mädchen müssen jungfräulich in die Ehe gehen und dürfen die Familienehre nicht gefährden, sie werden streng von ihren Brüdern und männlichen Verwandten kontrolliert. Polygamie und Scheidung sind unüblich. Beerdigungen sind nicht neben Nicht-Yezid*innen möglich. Yezid*innen in der Diaspora lassen ihre Verstorbenen häufig in die Heimatdörfer zurücktransportieren, teilweise haben Friedhöfe inzwischen gesonderte Abteilungen.
Die Priester haben einen längeren Fastenzyklus in mehreren Abschnitten zu absolvieren, an einigen Tagen fasten ebenso Laien. Der Mittwoch gilt als heilig. Das yezidische Neujahrsfest findet zum Frühlingsbeginn meist an einem Mittwoch statt. Inzwischen wird in den Heimatländern wie auch in der Diaspora stattdessen zunehmend am 21. März das kurdische Newrozfest gefeiert, welches nicht frei von politischen Einflüssen (Unabhängigkeitsbestrebungen) ist. Am ersten Freitag im Dezember wird das Yezid-Fest gefeiert, das an das irdische Erscheinen Scheich Adis erinnert. Am Grab Scheich Adis findet jährlich im Oktober ein Fest der Versammlung statt.
Eine Pilgerfahrt ist theoretisch religiöse Pflicht, praktisch politisch jedoch erschwert bis unmöglich.
Verbreitung
Weder über die Kurd*innen, die mehrheitlich sunnitische Muslim*innen sind, noch über die Yezid*innen, die eine Minderheit innerhalb der Kurd*innen darstellen, gibt es zuverlässige Zahlen. Neben kurdischen Yezid*innen gibt es einige wenige yezidische syrische Arab*innen und Armenier*innen. Die Gesamtzahl schwankt je nach Quelle zwischen 800 000 und 2,9 Millionen. Die Hauptsiedlungsgebiete sind im Norden Iraks, Osten der Türkei, Nordwesten Irans, Nordosten Syriens (zusammengefasst “Kurdistan”), sowie weiteren Regionen dieser Länder, ferner Armenien, Georgien, Aserbaidschan. In den letzten Jahren migrierten viele Yezid*innen nach Westeuropa, hauptsächlich nach Deutschland, aber auch Frankreich und den Niederlanden.
Besonderheiten in Deutschland
Im Rahmen der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte kamen in den 60er Jahren jüngere Yezid*innen legal in die Bundesrepublik. Nach dem Anwerbestopp 1973 und dem türkischen Militärputsch 1980 versuchten viele Yezid*innen in Deutschland Asyl zu beantragen. Nach langen gerichtlichen Verhandlungen sind türkische Yezid*innen inzwischen als asylberechtigt anerkannt, (noch) nicht aber als religiöse Gemeinschaft mit Rechtsform. Zunehmend sind auch irakische Yezid*innen nach Deutschland geflüchtet. Hinzu kommen iranische und syrische Migrantinnen und Migranten. Insgesamt leben etwa 35.000–40.000 Yeziden in Deutschland. Größere Gruppen gibt es u. a. in Celle, Oldenburg und Bielefeld.
Für Yezid*innen ist es neben den grundsätzlichen Herausforderungen, die eine Migration bzw. Flucht an das Überleben der religiösen Praktiken in der Diaspora stellt, besonders schwierig, ihre Wertorientierungen und Traditionen zu leben und ihren Kindern weiterzugeben, da sie selbst über ihre Religion relativ wenig wissen. Die notwendigen gewachsenen Strukturen und Abhängigkeiten zur religiösen Unterweisung zwischen Laien und Priestern sind vielfach zerrissen. Viele Eltern sind Analphabeten und sehen in der Schulbildung und Integration ihrer Kinder gleichwohl eine Chance für diese als auch eine Gefahr für den Fortbestand der yezidischen Religion und Gemeinschaft. Die Kinder erfahren häufig nur die meist als sehr streng empfundenen Auswirkungen der religiösen Vorstellungen (insbesondere Verbote zu außeryezidischen Kontakten und Heiraten), haben aber keine Möglichkeit von ihren Eltern mehr über die eigentliche Geschichte und Grundzüge der Religion zu erfahren. Aus den genannten Gründen und auch um negativer öffentlicher Wahrnehmung und Berichterstattung entgegenzuwirken haben sich 2004 zahlreiche yezidische Vereine zu einer Allianz zusammengeschlossen.
(Zeit-) Schriften
Dênge Êzîdian (www.yeziden.de)
Kontaktadressen
http://www.yezidisinternational.org
Literatur
Ackermann, Andreas: Yeziden in Deutschland. Von der Minderheit zur Diaspora; in: Paideuma, Bd. 49, Stuttgart 2003, S. 157–178.
Düchting, Johannes/Ates, Nuh: Stirbt der Engel Pfau? Geschichte, Religion und Zukunft der Yezidi-Kurden, Köln 1992.
Franz, Erhard (Hrsg.): Yeziden. Eine alte Religionsgemeinschaft zwischen Tradition und Moderne. Deutsches Orient-Institut, Band 71, Hamburg 2004.
Kizilhan, Ilhan: Die Yeziden. Eine anthropologische und sozialpsychologische Studie über die kurdische Gemeinschaft, Frankfurt 1997.
Scheider, Robin: Die kurdischen Yezidi. Ein Volk auf dem Weg in den Untergang, Gesellschaft für bedrohte Völker, Göttingen 1984.
Spuler-Stegemann, Ursula: Der Engel Pfau. Zum Selbstverständnis der Yezidi, in: ZfR. Zeitschrift für Religionswissenschaft, 1997, Heft 1, S. 3–17.
Stausberg, Michael: Kurdische Yezidi, in REMID: Religionen feiern, Marburg 1997, Diagonal, S. 154–161.
Autorin: Helga Barbara Gundlach, Hannover. © REMID 2005