Kurzinformation Religion: Messianische Jüdinnen und Juden

Begriff

Bei den soge­nan­nten “mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden“ han­delt es sich um eine Bewe­gung von Jüdin­nen und Juden, die an Jesus Chris­tus als göt­tlichen Mes­sias glauben. [1] Entsprechend ihrem Selb­stver­ständ­nis ver­ste­hen sich mes­sian­is­che Juden als Teil des Juden­tums, teilen aber sig­nifikant christliche Glaubensin­halte.[2]

Im Dic­tio­nary of Jew­ish-Chris­t­ian Rela­tions fasst E. Kessler das Mes­sian­is­che Juden­tum als eine Größe zusam­men:

Mes­sian­ic Judaism con­sists of Jews (indi­vid­u­als with Jew­ish ances­try) and Gen­tiles who believe that accept­ing Yeshua (Jesus) into their lives they can live a ful­filled Jew­ish life.[3]

Das Mes­si­as­beken­nt­nis mes­sian­is­ch­er Juden führt in Kirche und Syn­a­goge zu sys­tem­a­tisch-the­ol­o­gis­chen Her­aus­forderun­gen. Dort wird religiöse Zuge­hörigkeit als ein­deutig und auss­chließlich gedacht. Im Juden­tum gilt der Glaube an einen men­schlichen Sohn Gottes als Form von Götzen­di­enst. Mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden sind aber nicht klar “den Juden” oder “den Chris­ten” zuzurech­nen. Synkretis­tis­che Zuschrei­bun­gen gegenüber den mes­sian­is­chen Juden sind fol­glich von jüdis­ch­er und christlich­er Seite zu beobacht­en, daher über­rascht es nicht, dass sie sich von Jüdin­nen und Juden und Christ*innen zurück­gewiesen und missver­standen fühlen.

Jüdin­nen und Juden, die Jesus in unser­er Zeit als ihren Mes­sias beken­nen, ste­hen damit außer­halb von bekan­nten Reli­gion­s­gren­zen und ‑def­i­n­i­tio­nen. Mehrheitlich kon­vertieren sie nicht zu ein­er etablierten christlichen Kirche. Die tra­di­tionelle Sicht des Juden­tums wie des Chris­ten­tums, dass die Taufe einen Reli­gion­swech­sel markiert, deuten mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden neu: entsprechend ihrem Selb­stver­ständ­nis bleiben sie Jüdin­nen und Juden – mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden, die ihr Volk nicht ver­lassen haben, jüdis­che Tra­di­tio­nen weit­er­leben und somit ihre jüdis­che Iden­tität zu bewahren ver­suchen.

Mes­sian­isch-jüdis­che Gemein­den sind größ­ten­teils juden­mis­sion­ar­isch tätig. Ein „post­mis­sion­ar­isches mes­sian­is­ches Juden­tum“,[4] wie es von M. Kinz­er vertreten wird, bildet die Aus­nahme. Deswe­gen sind sie nicht in den offiziellen jüdisch-christlichen Dia­log involviert. Die etablierten Kirchen lehnen Juden­mis­sion aus his­torischen und the­ol­o­gis­chen Grün­den ab.[5] Sie stellt eine Bedro­hung für den nach der Shoa aufge­baut­en Respekt zwis­chen Jüdin­nen und Juden und Christ*innen dar und ist häu­fig Aus­druck ein­er anti­jüdis­chen The­olo­gie; nicht sel­ten find­et man in evan­ge­likal geprägten Gemein­den ein Über­legen­heits­ge­fühl gegenüber dem heuti­gen Juden­tum, indem das Mes­sian­is­che Juden­tum als einzig „wahres“ ver­standen wird.[6]

Geschichte

Immer wieder gab es Jüdin­nen und Juden, die (un‑)freiwillig zum Chris­ten­tum kon­vertierten und Mit­glied ein­er christlichen Kirche wur­den. In stärk­er­er Abgren­zung zu kirch­lichen Tra­di­tio­nen und Struk­turen grün­de­ten mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden unab­hängig Gemein­den, die ihren eige­nen religiösen Bedürfnis­sen entsprachen.[7]

Die his­torischen Wurzeln der mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden im Staat Israel liegen in der organ­isierten Juden­mis­sion protes­tantis­ch­er Mis­sion­s­ge­sellschaften des 19. Jahrhun­derts. Diese Mis­sion­s­ge­sellschaften und auch der heutige Evan­ge­likalis­mus gehen wiederum auf die Erweck­ungs­be­we­gung der englis­chen Puri­tan­er und der deutschen Pietis­ten zurück, die bere­its inner­halb des Protes­tantismus des 17./18.  Jahrhun­derts, Jüdin­nen und Juden mis­sion­ierten. Die Mis­sion­s­ge­sellschaften, allen voran die Lon­don Soci­ety for Pro­mot­ing Chris­tian­i­ty Amongst the Jews, (gegrün­det 1809), schick­ten einzelne aus­ge­bildete Juden­mis­sion­are nach Palästi­na um ganz Israel zu bekehren. Viele an Jesus gläu­big gewor­dene Jüdin­nen und Juden trat­en in eine protes­tantis­che Kirche ein.[8]

Die Beze­ich­nung „Hebräis­che Chris­ten“ (engl. Hebrew Chris­tians) geht auf das 19. Jahrhun­dert zurück, wo soge­nan­nte „hebräisch-christliche Allianzen“ von den Erweck­ungs­be­we­gun­gen bzw. den Mis­sion­s­ge­sellschaften gegrün­det wur­den, damit jesus­gläu­bige Juden erst­mals unter Gle­ich­gesin­nten bleiben kon­nten. Viele mis­sion­ierte Jüdin­nen und Juden trat­en in eine Kirche ein und zuse­hens ver­loren sie in den Kirchenge­mein­den ihre jüdis­che Iden­tität. Die Allianzen bestärk­ten die hebräis­chen Christ*innen zur Beibehal­tung ihres jüdis­chen Erbes und zur Mis­sion gegenüber Jüdin­nen und Juden und Nicht-Jüdin­nen und Nicht-Juden, auch wenn sie bere­its ein­er protes­tantis­chen Kirche ange­hörig waren. Die größten Allianzen wur­den im 19./20. Jahrhun­dert gegrün­det: Hebrew Chris­t­ian Union 1865 in Lon­don, Amer­i­can Board of Mis­sions to the Jews 1892 in den USA, Hebrew Chris­t­ian Alliance of Amer­i­ca 1915 eben­so in den USA. 1975 benan­nte sich die Hebrew Chris­t­ian Alliance um in Mes­sian­ic Jew­ish Alliance of Amer­i­ca. Aus der Mes­sian­ic Jew­ish Alliance of Amer­i­ca bildete sich 1984 die erste Inter­na­tion­al Alliance of Mes­sian­ic Con­gre­ga­tions and Syn­a­gogues her­aus.[9]

Noch bis in die 1960er Jahre war es weltweit üblich die Ter­mi­nolo­gie „Judenchrist“ (engl. Jew­ish Chris­t­ian) von und für jesus­gläu­bige Jüdin­nen und Juden zu ver­wen­den. Im deutschen Sprachraum ist auch noch der für antike Grup­pen geprägte Begriff „Judenchrist“ anzutr­e­f­fen, obwohl spätestens (ter­mi­nus ad quem) seit den 1990er Jahren die Selb­st­beze­ich­nung „mes­sian­is­ch­er Jude“ üblich ist.[10]

Der Begriff selb­st; „Mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden“ taucht das erste Mal Ende des 19. Jahrhun­derts bei dem Ungarn Josef Rabi­nowitz (1837 – 1899) auf. Er wurde 1885 in Berlin durch einen methodis­tis­chen Pas­tor getauft und grün­dete in dem­sel­ben Jahr im heuti­gen Kischinew (Haupt­stadt Moldaw­iens) die erste mes­sian­isch-jüdis­che Gemeinde mit dem Namen „Yehudim Meshichi­im Bney Brit Hachadashah“ (dt. Mes­sian­is­che Juden, Söhne des Neuen Tes­ta­mentes). Rabi­nowitz weigerte sich, ein­er offiziellen Kirche anzuge­hören, stattdessen ver­stand er sich als ein Teil der uni­ver­salen Kirche Jesu Christi, ohne seine jüdis­chen Sit­ten aufzugeben, soweit diese nicht mit dem neutes­ta­mentlichen Zeug­nis kol­li­dierten.[11]

In Israel sind mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden häu­fig Diskri­m­inierung aus­ge­set­zt. Beson­ders für recht­sex­treme und religiös-ultra­ortho­doxe Organ­i­sa­tio­nen ist mes­sian­is­ches Juden­tum die größt­möglich­ste Assim­i­lierung und Ent­fer­nung vom Juden­tum vor der Kon­ver­sion. Viele Leute erken­nen daher mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden den Sta­tus als Juden ab, obwohl sie diesen halachisch nicht ver­lieren.

Lehre

Der Glaubenssatz, den mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden in ihrer weltweit viel­seit­i­gen Bewe­gung teilen, lautet: „Mes­sian­is­che Juden sind Juden, die an Jesus als den Mes­sias Israels glauben.“[12]

Dieser Glaube ist stark im Neuen Tes­ta­ment ver­ankert, stellt aber auch eine feste Verbindung zwis­chen Tanach und Neuem Tes­ta­ment her. Es find­en sich sehr oft Übere­in­stim­mungen der mes­sian­is­chen The­olo­gien und der christlichen Kirchen im West­en. Der ehe­ma­lige Präsi­dent des Mes­sian­ic Jew­ish The­o­log­i­cal Insti­tute in Flori­da M. Kinz­er merkt dazu an:

I think the first issue that Mes­sian­ic Jew­ish thought must address in order to devel­op at a high­er lev­el of reflec­tion is that of eccle­si­ol­o­gy. Before we can under­stand our­selves, we need to under­stand the Church and the Jew­ish peo­ple, and the rela­tion­ship between them. Before we can deter­mine our own dis­tinc­tive place (as Mes­sian­ic Jews) in rela­tion to these two his­toric com­mu­ni­ties and tra­di­tions, we need to assess their respec­tive the­o­log­i­cal sta­tus – where they stand before God and in Mes­si­ah – and the mys­te­ri­ous way they are both unit­ed and divid­ed.[13]

Sowohl Juden als auch „mes­sian­is­che Juden“ nehmen die the­ol­o­gis­che Kat­e­gorie – das auser­wählte Volk Gottes (Israel) – zu sein, in Anspruch.[14] Im All­ge­meinen lehnen „mes­sian­is­che Juden“ christlich-the­ol­o­gis­che Begrif­flichkeit­en (e.g. Zwei-Naturen-Lehre oder Trinitäts­dog­ma) ab, jedoch nicht zwin­gend ihre inhaltliche Bedeu­tung.

Jesus im Judentum

In der Tra­di­tion der Antike spielt Jesus für das Juden­tum noch keine Rolle.

Seit der frühen Neuzeit gibt es jedoch Bestreben, Jesus zurück in den Kanon des Juden­tums zu holen. Jüdis­che Denker begin­nen, sich mit der Rolle Jesu zu beschäfti­gen, darunter Moses Mendelssohn, Schalom Ben-Chorin und Leo Baeck [Nachama 608]. Jesus wird als vor­bildlich­er prak­tizieren­der Jude und weis­er Prophet ver­standen, nicht aber als Mes­sias oder Sohn Gottes [Nachama 610].

Im All­ge­meinen gibt es aber im Juden­tum die Vorstel­lung, am Ende der Zeit käme ein Mes­sias, der das Volke Israel erlöst und ein neues Zeital­ter eröffnet, das einen theokratis­chen Staat in Israel möglich machen würde. In der jüdis­chen Lit­er­atur find­et sich die Sehn­sucht nach dem Mes­sias durch alle Epochen hin­weg als lit­er­arischh­es Motiv. So wur­den auch immer bes­timmte Per­so­n­en von eini­gen als Mes­sias iden­ti­fiziert, In der Antike war dies beispiel­sweise der Perserkönig Cyrus, der die Juden aus dem Baby­lonis­chen Exil zurück nach Israel brachte und später his­torische Fig­uren wie David Reubeni (gest. 1538) oder Sch­ab­batai Zwi (gest. 1676) [Nachama 471–476].

Die Vorstel­lung, in Jesus den jüdis­chen Mes­sias gefun­den zu haben, ist also his­torisch abso­lut nicht ein­ma­lig.

Deutsche Besonderheiten

Seit dem Zweit­en Weltkrieg trägt Deutsch­land eine his­torische Ver­ant­wor­tung gegenüber dem jüdis­chen Volk. Als einen Schritt zur Revi­tal­isierung jüdis­chen Lebens emi­gri­erten seit dem Beschluss der Bon­ner Min­is­ter­präsi­den­tenkon­ferenz vom 9.1.1991 bis 2006 rund 227.000 „jüdis­che Kontin­gent­flüchtlinge“ aus der ehe­ma­li­gen Sow­je­tu­nion mit ihren Fam­i­lien­ange­höri­gen nach Deutsch­land; darunter auch mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden. In Verbindung mit den jüdis­chen Zuwanderer*innen, ent­standen Mitte der 1990er Jahre mes­sian­isch-jüdis­che Gemein­den in Deutsch­land.

Viele rus­sis­che Jüdin­nen und Juden wur­den in Deutsch­land zu mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden: ein­er­seits durch juden­mis­sion­ar­ische Aktiv­itäten einzel­ner Per­so­n­en inner­halb der evan­ge­lis­chen Kirchen und ander­er­seits durch evan­ge­likale Werke wie Evan­geli­ums­di­enst für Israel (EDI), Arbeits­ge­mein­schaft für das mes­sian­is­che Zeug­nis an Israel (AMZI), Beit Shar Shalom Evan­geli­ums­di­enst (BSSE) und Juden für Jesus. Sowohl die Deutsche Evan­ge­lis­che Allianz (DEA) als auch die Lau­sanne Com­mi­tee for Jew­ish Evan­ge­lism (LCEJ) unterstütz(t)en die aktive Juden­mis­sion.[15]

Die anhal­tende Juden­mis­sion führt zu Kri­tik von jüdis­chen Gemein­den, Organ­i­sa­tio­nen des jüdisch-christlichen Dialogs und kirch­lichen Insti­tu­tio­nen in Deutsch­land.[16]

Praxis

Gemäß jüdis­ch­er Tra­di­tion lassen mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden, in der Regel ihre Söhne am acht­en Tag nach der Geburt beschnei­den. Die Erwach­se­nen­taufe (meist mit Unter­tauchen des ganzen Kör­pers) bildet den let­zten Schritt in der per­sön­lichen Zus­tim­mung, dass Yeschuha, (wie Jesus von Nazareth durchge­hend in der mes­sian­is­chen Bewe­gung genan­nt wird), der Mes­sias ist. Die Säuglingstaufe wird all­ge­mein abgelehnt. Die Abendmahlfeiern vari­ieren ter­min­lich je nach Gemeinde entwed­er wöchentlich am Shab­bat, monatlich oder ein­mal im Jahr zu Pes­sach. Über­wiegend find­en am Shab­bat die Haupt­gottes­di­en­ste statt.

Generell gilt, je „christlich­er“ die Glaubensin­halte sind, desto weniger tho­r­a­treu wird gelebt. Eine beson­ders „jüdis­che“ Glauben­sprax­is wird im Ein­hal­ten der rab­binis­chen Halacha sowie der Thor­age­bote betont. Diese tho­raob­ser­van­ten mes­sanis­chen Jüdin­nen und Juden bilden nicht die Mehrheit der Bewe­gung, son­dern jene, die indi­vidu­ell Gebote fes­tle­gen, die sie ein­hal­ten möcht­en. Daraus ergibt sich eine Het­ero­gen­ität der Glauben­sprax­is unter mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden, die sich auch im Feiern des jüdis­chen Fes­tkalen­ders zeigt, dessen Feste nicht von allen gefeiert wer­den. Wer­den aber jüdis­che Feste gefeiert (e.g. Pes­sach, Schawuot, Sukkot, Chanuk­ka), so wer­den sie mit den dazuge­höri­gen Riten, vor dem Hin­ter­grund ihres mes­sian­isch-jüdis­chen Mes­si­as­beken­nt­niss­es, uminter­pretiert.[17]

Verbreitung und Organisation

Die mes­sian­isch-jüdis­che Bewe­gung ist ein weltweites Rand­phänomen der Gegen­wart. Es gibt wed­er eine gemein­same Dachor­gan­i­sa­tion von mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden, noch eine ein­heitliche Def­i­n­i­tion, wer eigentlich ein mes­sian­is­ch­er Jüdin­nen und Juden ist. Daher gibt es auch keine genauen Sta­tis­tiken, was die Zahl der­er ange­ht, die sich als mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden definieren.

Die fol­gen­den Angaben zu Zahlen und Ver­bre­itung sind daher ohne Gewähr:

Der aus Eng­land stam­mende mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden R. Har­vey schätzt, dass es weltweit unge­fähr 150.000 mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden gibt. Die zwei Zen­tren mes­sian­is­ch­er Jüdin­nen und Juden bilden Nor­dameri­ka mit mehr als 100.000 mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden, verteilt auf ca. 300 mes­sian­is­chen Gemein­den, und Israel mit ca. 5000 mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden, verteilt auf ca. 120 Gemein­den. In Europa gibt es sein­er Studie zu folge geschätzte 16.000: Großbri­tan­nien 5.000, Deutsch­land 1000, Rus­s­land 5000, Ukraine 5000. Weit­ere Gemein­den existieren in den Nieder­lan­den, Bel­gien, Frankre­ich, Ital­ien, Tschechien, Ungarn, Slowakei und Weißrus­s­land.

Für Deutsch­land liegt eine empirische Studie mit beina­he 700 mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden von S. Pfis­ter aus dem Jahr 2008 vor.[18]

In Lateinameri­ka wer­den von P. Hock­en mes­sian­isch-jüdis­che Gemein­den in Belo Hor­i­zonte (Brasilien) und Buenos Aires (Argen­tinien) erwäh­nt, unter deren Mit­glieder sind die Nach­fahren zwangskon­vertiert­er Jüdin­nen und Juden, die aus der mit­te­lal­ter­lichen Juden­ver­fol­gung auf der iberischen Hal­binsel abstam­men, den soge­nan­nten Mar­ra­nen.[19]

Angaben zu mes­sian­isch-jüdis­chen Gemein­den in Afri­ka verze­ich­net das Cho­sen peo­ple Min­istries.[21]

Eine umfassende Erhe­bung zu mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden in Israel fand 1999 von K. Kjær‑Hansen/B.M. Skjøtt statt, damals wur­den 5000 mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden gezählt. Nach Schätzun­gen von H. Rucks leben im Jahr 2014 rund 8.000–10.000 mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden in Israel.

Per Def­i­n­i­tion ist Israel ein jüdis­ch­er Staat, fol­glich beste­ht ein außeror­dentlich­es juris­tis­ches Inter­esse, zu definieren, wer ein Jude bzw. eine Jüdin ist. Das israelis­che Rück­kehrge­setz aus dem Jahre 1950 erlaubt allen Jüdin­nen und Juden eine Ein­wan­derung nach Israel. Fälle aus der Ver­gan­gen­heit (e.g. Daniel Rufeisen) zeigen, wie kom­plex und ambiva­lent das The­ma der Anerken­nung als Jüdin­nen und Juden zwis­chen den insti­tu­tionellen Gewal­ten – Ober­sten Gericht­shof und Oberrab­binat in Jerusalem – geführt wurde. Mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden gel­ten im Staat Israel als Kon­ver­titen, denen keine Ein­bürgerung unter Bezug­nahme auf das Rück­kehrge­setz erlaubt wird.[22]

Traditionen/Abspaltungen

„Mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden“ treten nicht als Ein­heit auf, wie etwa die katholis­che Kirche. Es gibt unter „mes­sian­isch-jüdis­chen“ Gemein­den ver­schieden­ste Rich­tun­gen mit je eige­nen Iden­titäten und the­ol­o­gis­chen Prä­gun­gen. Die einen bewe­gen sich eher im christlichen, die anderen eher im jüdis­chen Spek­trum. Wichtig ist es, jede Gemeinde für sich zu betra­cht­en, um nicht von ein­er Gemeinde auf die ganze „mes­sian­isch-jüdis­che“ Bewe­gung zu schließen damit nicht ein falsches Bild von „Mes­sian­is­chen Jüdin­nen und Juden“ entste­ht.

In Israel lässt sich die „mes­sian­isch-jüdis­che“ Bewe­gung in vier Sprach­grup­pen unterteilen: hebräisch-/, englisch‑, äthiopisch- und rus­sis­chsprachige Gemein­den. Die bei­den let­zt­ge­nan­nten Grup­pen gehen auf Migra­tions­be­we­gun­gen aus Äthiopi­en und der ehe­ma­li­gen Sow­je­tu­nion zurück. Durch die inter­na­tionale Ver­net­zung wird in vie­len Hebräisch sprechen­den Gemein­den auch Englisch gesprochen.[23]

Mes­sian­is­che Jüdin­nen und Juden sind nicht mit der Asso­ci­a­tion of Her­brew Catholics, deren Mit­glieder vor­wiegend in Nor­dameri­ka leben, oder mit den Hebräisch sprechen­den Katho­liken in Israel zu ver­wech­seln, bei­de gehören der Katholis­chen Kirche an. In Israel beste­hen diese größ­ten­teils aus katholis­chen Migranten und nur weni­gen Kon­ver­titen, die sich in ihrer Selb­st­wahrnehmung als Christ*innen, expliz­it als Katholik*innen beze­ich­nen und sich ihrer per­sön­lichen wie reli­gion­s­geschichtlichen Wurzeln aus dem Juden­tum und der prob­lema­tis­chen Beziehung zwis­chen Kirche und Syn­a­goge bewusst sind.

Literatur

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Vatikanis­che Kom­mis­sion für die religiösen Beziehun­gen zum Juden­tum ‚Denn unwider­ru­flich sind Gnade und Beru­fung, die Gott gewährt‘ (Röm 11,29). Reflex­io­nen zu the­ol­o­gis­chen Fragestel­lun­gen in den katholisch-jüdis­chen Beziehun­gen aus Anlass des 50jährigen Jubiläums von ‚Nos­tra aetate‘ (Nr.4), vom 10. Dezem­ber 2015. Deutsche Bischof­skon­ferenz (Hg.), Bonn 2015.

Links

AHC, Offizielle Home­page, URL: www.hebrewcatholic.net (Stand: 23.07.2018).
Deutsch­er Evan­ge­lis­ch­er Kirchen­tag, Stel­lung­nahme des Prä­sid­i­ums des Deutschen Evan­ge­lis­chen Kirchen­t­ages, warum christliche Grup­pen mit juden­mis­sion­ar­isch­er Inten­tion und Prax­is keine aktive Teil­nahme an Kirchen­t­a­gen gewährt wer­den kann, in: Mes­sian­is­che Juden – State­ment vom 01.02.2014.
Gus­ki, Cha­jm, Mis­sion Juden­tum. Wie Evan­ge­likale Zuwan­der­ern ein »neues Heilser­leb­nis« ver­mit­teln wollen, in: Jüdis­che All­ge­meine vom 19.06.2014.
Har­vey, Richard, Foun­da­tion of Euro­pean Mes­sian­ic Jew­ish The­ol­o­gy, Präsen­ta­tion am Euro­pean Mes­sian­ic Jew­ish The­o­log­i­cal Sym­po­sium 2013.
LCWE, Offizielle Home­page, URL: www.lausanne.org/ (Stand: 23.07.2018).
LCJE inter­na­tion­al, Offizielle Homepage,URL: www.lcje.net/ (Stand: 23.07.2018).
MJBI, Offizielle Home­page, URL: www.mjbi.org/schools/ethiopia/ (Stand: 23.07.2018).
MJBI, Offizielle Home­page, URL: www.mjbi.org/schools/zimbabwe/ (Stand: 23.07.2018).
OSJ, Offizielle Home­page, URL: www.catholic.co.il (Stand: 23.07.2018).
Paul, André, In der Jesus­falle. Chem­nitz: Mes­sian­is­che Juden mis­sion­ieren – die Gemeinde ist empört in: JÜDISCHE ALLGEMEINE vom 9.2.2006, URL: https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/5168 (Stand: 23.07.2018).
Sefer Ha-Chukkim, Law of Return. No. 51, Jerusalem 1950.
Wag­n­er, Matthew. US report: Rise in vio­lence against Mes­sian­ic Jews and Chris­tians, SEPTEMBER 23, 2008. https://www.jpost.com/international/us-report-rise-in-violence-against-messianic-jews-and-christians (Stand 07.10.2023).

Quellen

[1] Vgl. P. von der Osten-Sack­en, Ein Empfehlungs­brief Christi 89.
[2] Vgl. M. Stein­er, Zwis­chen Kirche und Syn­a­goge, Wien 2018.
[3] E. Kessler, Art.: Mes­sian­ic Jews, in: A Dic­tio­nary of Jewish‑Christian Rela­tions, 2005, 292.
[4] Vgl. M. Kinz­er, Post­mis­sion­ary Mes­sian­ic Judaism. Redefin­ing Chris­t­ian Engage­ment with the Jew­ish Peo­ple, Michi­gan 2005.
[5] „Mes­sian­ic Judaism is proac­tive in seek­ing Jew­ish con­verts and con­demned by fast major­i­ty of the Jew­ish com­mu­ni­ty. Although a Jew­ish con­vert to Chris­tian­i­ty may still be cat­e­gorised a Jew accord­ing to a strict inter­pre­ta­tion of the halakhah (Jew­ish law), most Jews are adamant­ly opposed to the idea that one can con­vert to Chris­tian­i­ty and still remain a Jew or be con­sid­ered part of Jew­ish life. From a main­stream Chris­t­ian per­spec­tive Mes­sian­ic Judaism can also invoke hos­til­i­ty for mis­rep­re­sent­ing Chris­tian­i­ty.“ [Kur­sivset­zung durch den Verf.]. E. Kessler, Art.: Mes­sian­ic Jews, in: A Dic­tio­nary of Jewish‑Christian Rela­tions, 2005, 292f.
[6] R. Stuhlmann, Rain­er, Offen für die Antwort des Mes­sias? Kri­tis­che Bemerkun­gen zu „Mes­sian­is­chen Juden“ und Evan­ge­likalen in Israel, in: Kre­mers, Thomas/Hasselhoff, Görge K./Klappert, Bertold (Hg.), Heinz Kre­mers – Vom Juden­tum ler­nen, Neukirchen-Vlyn 2015, 196–200.
[7] Vgl. Ben-Chorin, Schalom, Mes­sian­is­che Juden. Judenchris­ten in Israel, in: Ders., The­olo­gia Judaica. Gesam­melte Auf­sätze, Lenzen, Ver­e­na (Hg.), Band 2, Tübin­gen 1992, 175–178; 176.
[8] Vgl. S. Hermle, Art.: Judenchris­ten, in: RGG4 4, 608f. Vgl. S. Pfis­ter, Mes­sian­is­che Juden in Deutsch­land 51,54,59–61.
[1] Vgl. P. von der Osten-Sack­en, Ein Empfehlungs­brief Christi 89.
[2] Vgl. M. Stein­er, Zwis­chen Kirche und Syn­a­goge, Wien 2018.
[3] E. Kessler, Art.: Mes­sian­ic Jews, in: A Dic­tio­nary of Jewish‑Christian Rela­tions, 2005, 292.
[4] Vgl. M. Kinz­er, Post­mis­sion­ary Mes­sian­ic Judaism. Redefin­ing Chris­t­ian Engage­ment with the Jew­ish Peo­ple, Michi­gan 2005.
[5] „Mes­sian­ic Judaism is proac­tive in seek­ing Jew­ish con­verts and con­demned by fast major­i­ty of the Jew­ish com­mu­ni­ty. Although a Jew­ish con­vert to Chris­tian­i­ty may still be cat­e­gorised a Jew accord­ing to a strict inter­pre­ta­tion of the halakhah (Jew­ish law), most Jews are adamant­ly opposed to the idea that one can con­vert to Chris­tian­i­ty and still remain a Jew or be con­sid­ered part of Jew­ish life. From a main­stream Chris­t­ian per­spec­tive Mes­sian­ic Judaism can also invoke hos­til­i­ty for mis­rep­re­sent­ing Chris­tian­i­ty.“ [Kur­sivset­zung durch den Verf.]. E. Kessler, Art.: Mes­sian­ic Jews, in: A Dic­tio­nary of Jewish‑Christian Rela­tions, 2005, 292f.
[6] R. Stuhlmann, Rain­er, Offen für die Antwort des Mes­sias? Kri­tis­che Bemerkun­gen zu „Mes­sian­is­chen Juden“ und Evan­ge­likalen in Israel, in: Kre­mers, Thomas/Hasselhoff, Görge K./Klappert, Bertold (Hg.), Heinz Kre­mers – Vom Juden­tum ler­nen, Neukirchen-Vlyn 2015, 196–200.
[7] Vgl. Ben-Chorin, Schalom, Mes­sian­is­che Juden. Judenchris­ten in Israel, in: Ders., The­olo­gia Judaica. Gesam­melte Auf­sätze, Lenzen, Ver­e­na (Hg.), Band 2, Tübin­gen 1992, 175–178; 176.
[8] Vgl. S. Hermle, Art.: Judenchris­ten, in: RGG4 4, 608f. Vgl. S. Pfis­ter, Mes­sian­is­che Juden in Deutsch­land 51,54,59–61.
[9] Vgl. P. Hocken/D. Juster, The Mes­sian­ic Jew­ish Move­ment An Intro­duc­tion, TJC II 2004, 10.
[10] Vgl. ebd; Vgl. H. Rucks, Mes­sian­is­che Juden 17; unter Ver­weis auf Fuss­note Nr. 7: E. W., Van de Poll, Sacred Times For Cho­sen Peo­ple. Devel­op­ment, Analy­sis and Mis­si­o­log­i­cal Sig­nif­i­cance of Mes­sian­ic Jew­ish Hol­i­day Prac­tice (=Mis­sion, Nr.46), Zoeter­meer 2008, 57.
[11] Vgl. A. Hor­nung, Mes­sian­is­che Juden zwis­chen Kirche und Volk Israel 46f.; unter Ver­weis auf seine Fußnote Nr. 6: K. Kjær-Hansen, Josef Rabi­nowitz – The Her­zl of Jew­ish Chris­tian­i­ty, in: Mishkan 14 (1991) 1–14.
[12] S. Pfis­ter, Mes­sian­is­che Juden in Deutsch­land 15.
[13] M. Kinz­er, e‑mail to the author, in: R. Har­vey, Map­ping Mes­sian­ic Jew­ish The­ol­o­gy. A Con­struc­tive Approach, Lon­don 2009, 280.
[14] Vgl. P. Hocken/D. Juster, The Mes­sian­ic Jew­ish Move­ment. An Intro­duc­tion, TJC II 2004, 9.
[15] Vgl. S. Pfis­ter, Mes­sian­is­che Juden in Deutsch­land 100f; 126f; 162.
[16] Vgl. Vatikanis­che Kom­mis­sion für die religiösen Beziehun­gen zum Judentum„Denn unwider­ru­flich sind Gnade und Beru­fung, die Gott gewährt‘ (Röm 11,29). Reflex­io­nen zu the­ol­o­gis­chen Fragestel­lun­gen in den katholisch-jüdis­chen Beziehun­gen aus Anlass des 50jährigen Jubiläums von ‚Nos­tra aetate‘ (Nr.4), vom 10. Dezem­ber 2015. Deutsche Bischof­skon­ferenz (Hg.), Bonn 2015, Nr. 40; Vgl. Deutsch­er Evan­ge­lis­ch­er Kirchen­tag, Stel­lung­nahme des Prä­sid­i­ums des Deutschen Evan­ge­lis­chen Kirchen­t­ages, warum christliche Grup­pen mit juden­mis­sion­ar­isch­er Inten­tion und Prax­is keine aktive Teil­nahme an Kirchen­t­a­gen gewährt wer­den kann, in: Mes­sian­is­che Juden-State­ment vom 01.02.2014, URL: https://www.kirchentag.de/aktuell/nachrichten/nachrichten/archiv_stuttgart/messianische_juden_gespraech/messianische_juden_statement.html; Vgl. A. Paul, In der Jesus­falle. Chem­nitz: Mes­sian­is­che Juden mis­sion­ieren – die Gemeinde ist empört, in: Jüdis­che All­ge­meine vom 9.2.2006, URL: https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/5168 (Stand: 23.07.2018); Vgl. C. Gus­ki, Mis­sion Juden­tum. Wie Evan­ge­likale Zuwan­der­ern ein »neues Heilser­leb­nis« ver­mit­teln wollen, in: Jüdis­che All­ge­meine vom 19.06.2014, URL: https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19436/highlight/messianische&juden (Stand: 23.07.2018).
[17] Vgl. H. Rucks, Das Phänomen „Mes­sian­is­ch­er Juden“, in: Laep­ple, Ulrich, Mes­sian­is­che Juden – eine Pro­voka­tion. Mit Beiträ­gen von Richard Har­vey, Peter Hirschberg, Han­na Rucks, Sven Schön­heit und Hans-Joachim Scholz, Göt­tin­gen 2016, 17–20.
[18] Pfis­ter, Ste­fanie, Mes­sian­is­che Juden in Deutsch­land. Eine his­torische und reli­gion­ssozi­ol­o­gis­che Unter­suchung, Berlin 2008.
[19] P. Hock­en, The Mar­ra­nos. A His­to­ry, in Need of Heal­ing, TJC II 2006, 6.
[20] Vgl. http://mjbi.org/schools/ (Stand:12.03.2018).
[21] Vgl. https://chosenpeople.com/site/south-africa/ (Stand:12.03.2018).
[22] Vgl Sefer Ha-Chukkim, Law of Return. No. 51, Jerusalem 1950, URL: http://www.nbn.org.il/aliyahpedia/government-services/government-benefits-new-immigrants-oleh-chadash/the-law-of-return/ (Stand: 10.03.2018).
[23] Vgl. H. Rucks, Mes­sian­is­che Juden, Inhaltsverze­ich­nis XII; 314; 324.

Bear­beitung: Mar­tin Stein­er 2018, Aktu­al­isierung Nizar Blass, 2023.

Kurz­in­for­ma­tion Reli­gion “Mes­sian­is­che Juden” als PDF-Datei

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