REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Ich hatte das Glück, von Inform Religion zu deren jährlichem Vernetzungstreffen im Juni eingeladen zu werden. Zusammen mit Anna Kira Hippert, Doktorandin am CERES und Intern bei Inform, reiste ich am 9. und 10. Juni nach London, um REMIDs internationale Vernetzung zu fördern.
Das seit über 15 Jahren stattfindende Annual Cult Watching Group Meeting ist ein Netzwerktreffen verschiedener lokaler Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, über Neue Religiöse Bewegungen aufzuklären und zu informieren. Gastgeberin war in diesem Jahr Inform Religion – eine unabhängige, eingetragene Wohltätigkeitsorganisation mit Sitz in der Abteilung für Theologie und Religionswissenschaft am King’s College in London, die von der rennomierten Religionssoziologin Eileen Barker im Jahr 1988 gegründet wurde.
Same, but different
Am Vormittag des 10. Juni trafen sich alle beteiligten Organisationen am King’s College und nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurden verschiedene Themen und Herausforderungen besprochen, die alle Einrichtungen gemeinsam haben. Die anfängliche Diskussion zu den Begriffen “Cult” und “Sect”, die je nach Landessprache unterschiedliche Konnotationen haben können, führte schnell tiefer in die verschiedenen Arbeitsbereiche. Obwohl alle Einrichtungen dieselben Ziele verfolgen, ist die Arbeitsweise unterschiedlich und hängt unter anderem davon ab, wie die Einrichtungen im Einzelnen finanziert werden und welche Kapazitäten ihnen zur Verfügung stehen.
‘Cult’ rhetoric – a never ending discussion
Am Nachmittag gab es einen spannenden Vortrag von Dr. Aled Thomas und Dr. Edd Graham-Hyde (beide Inform), die über ihre jüngste Veröffentlichung zur Cult-Rhetorik sprachen – die Ergebnisse ihrer Forschung werden im Juli 2024 in einer gemeinsamen Publikation veröffentlicht: ‘Cult’ rhetoric in the 21st century. Dort gehen sie der Frage nach, warum Worte wie ‘Cult’ im englischen Sprachraum immer noch (auch von Wissenschaftler*innen) verwendet werden und welche Nachteile oder auch Vorteile dies mit sich bringen kann.
Dealing with media enquiries
Nach einer typisch britischen Teepause wurde besprochen, wie die Einrichtungen mit Medienanfragen und journalistischen Rechercheanfragen umgehen. Allen gemein war das Problem, dass man möglichst jede Anfrage bearbeiten möchte, oft aber vonseiten der Journalist*innen nur sehr kurze Zeiträume vorgegeben werden, innerhalb derer man eine möglichst umfangreiche Beantwortung der gestellten Fragen realisieren muss. Ein großer Rechercheaufwand steht dann in manchen Fällen einem sehr eingeschränkten Nutzen der recherchierten Ergebnisse gegenüber – so berichteten mehrere Institutionen, dass es durchaus passiert, dass die von ihnen zusammengestellten Informationen aus verschiedenen Gründen dann doch nicht genutzt wurden. Auch muss darauf geachtet werden, dass die herausgegebenen Informationen wahrheitsgemäß wiedergegeben werden, da eine absichtliche oder unabsichtliche falsche Zitation schnell zu einem Vertrauensverlust gegenüber der Einrichtung führen kann.
Networking is the key
Am Ende ging die Diskussion in die Frage über, wie man auf internationaler Ebene besser kooperieren und sich gegenseitig unterstützen könne. Verschiedene Möglichkeiten der Vernetzung über bestimmte Themen wie zum Beispiel die wachsende Bedeutung der Nutzung von KI oder der neuen Medien für Religionsgemeinschaften wären denkbar. Auch mögliche gemeinsame Publikationen wurden besprochen.
Teilnehmende Organisationen
Inform wurde von der Religionssoziologin Eileen Barker (die übrigens auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates von REMID e.V. ist) mit einer Anschubfinanzierung vom britischen Innenministerium und den großen britischen Kirchen gegründet. Informs Ziele bestehen darin, Fehlinformationen über Minderheitenreligionen und “Sekten” zu verhindern, indem Erkenntnisse und Methoden der akademischen Erforschung neuer religiöser Bewegungen öffentlich zugänglich gemacht werden, so evidenzbasiert wie möglich.
Website: https://inform.ac/
Info-Cult, auch bekannt als Info-Secte (Centre for the Study of Sectarian Phenomena and Support Services) wurde 1980 in Montreal (Quebec, Kanada) gegründet und ist eine gemeinnützige Wohltätigkeitsorganisation. Sie wird vom Ministerium für Gesundheit und soziale Dienste von Quebec sowie durch private Spenden finanziert und bietet Hilfe und Informationen über neue religiöse Bewegungen, ihre Ideologien und ihre Funktionsweise. Auch das spezialisierte Dokumentationszentrum zählt zu den bedeutendsten auf diesem Gebiet. Als einzige Organisation ihrer Art in Kanada bietet Info-Secte außerdem verschiedene Unterstützungs- und Orientierungsdienste für ehemalige Gruppenmitglieder sowie Familien und Angehörige an.
Website: https://infosecte.org/
Das interkantonale Informationszentrum für Glaubensfragen wurde 2002 in Genf gegründet, um Sorgen und Fragen der Bevölkerung in Bezug auf neue religiöse Bewegungen zu beantworten. Die als gemeinnützig anerkannte, kirchenunabhängige Privatstiftung wird von drei Kantonen subventioniert: Waadt, Wallis und Tessin sowie von einer privaten Stiftung. Es untersteht der föderalen Aufsichtsbehörde für Stiftungen, die dem Generalsekretariat des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) angeschlossen ist. Die CIC hat die Aufgabe, Informationen bereitzustellen, Prävention zu betreiben und das Bewusstsein für mögliche problematische Entwicklungen religiöser Gruppen zu schärfen.
Website: https://cic-info.ch/
Das belgische Informations- und Beratungszentrum für gefährliche religiöse Organisationen wurde 1998 aufgrund der Empfehlung der parlamentarischen Enquête-Kommission eingerichtet und erstattet dieser regelmäßig Bericht. Das CIAOSN ist ein unabhängiges Zentrum, die Mitglieder des Zentrums wurden vom Repräsentantenhaus ernannt, die Hälfte davon auf Vorschlag des Ministerrats. Zur Wahrnehmung der Aufgaben des Zentrums wurde ein multidisziplinärer Studiendienst (einschließlich Rechtsdienst, Sekretariat und Bibliothek) eingerichtet, der seit dem 16. Oktober 2017 unter der Leitung von Frau Kerstine Vanderput steht.
Website: https://www.ciaosn.be/index.htm
Die 1979 gegründete International Cultic Studies Association (ICSA) ist ein globales Netzwerk von Menschen, die sich mit psychologischer Manipulation und Missbrauch in neuen religiösen Gemeinschaften und anderen stark kontrollierten Umgebungen befassen. ICSA ist steuerbefreit, unterstützt bürgerliche Freiheiten und ist keiner religiösen oder kommerziellen Organisation angeschlossen. ICSA bietet Informationen, Bildung, Interessenvertretung und Unterstützung für diejenigen, die von stark kontrollierenden (religiösen) Gruppen und Beziehungen betroffen sind oder auch mehr über diese erfahren wollen. Basierend auf ethischen Grundsätzen, forschungsbasiertem Wissen und einem Engagement für Bildung dient sie als offene, professionelle und differenzierte Ressource für Fachleute, Überlebende, Familien, Forscher*innen und die Öffentlichkeit.
Website: https://www.icsahome.com
Das Rahmenprogramm
Bereits einen Tag vor dem eigentlichen Vernetzungstreffen trafen wir uns in London zu einer gemeinsamen Exkursion, um anhand von zwei Beispielen für Neue Religiöse Bewegungen deren Zusammenarbeit mit Inform Religion kennenzulernen.
Family Federation for World Peace and Unification
Die Vereinigungskirche (oder auch “Unification Church” oder “Moon-/Mun-Sekte” genannt) ist eine Neue Religiöse Bewegung, die 1954 von dem Koreaner Sun Myung Moon gegründet wurde.
Wir wurden vom Präsidenten und Vizepräsidenten für die Region Europa empfangen und konnten in einem Gespräch mehr über das Verhältnis erfahren, das die Gruppe zu Eileen Barker und zu Inform pflegt. Da Barker die “Moonies” seit den siebziger Jahren wissenschaftlich begleitet, ist sie bestens mit ihnen vertraut, und die Gruppierung ist ihr ebenfalls wohlgesonnen, da sie sich stets für eine wissenschaftliche Betrachtungsweise einsetzte und sich entschieden gegen sogenannte Anti-Cult-Bewegungen und deren Vorwürfe der “Gehirnwäsche” stellte.
Website: https://www.ffwpu.org.uk/
ISKCON — Radha-Krishna Temple
Die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein (abgekürzt ISKCON aus dem englischen Original-Namen International Society for Krishna-Consciousness, auch “Hare-Krishna-Bewegung” genannt) wird als neue religiöse Bewegung eingestuft, die 1966 von Abhay Charan Bhaktivedanta Swami Prabhupada gegründet wurde und sich ab den 1970er Jahren besonders durch die Hippie-Bewegung auch in Europa ausbreitete.
Wir wurden von einer Empfangsperson begrüßt und durften nach einer kurzen Begehung der Räumlichkeiten des Tempels (der sich ganz in englischer Manier über mehrere Etagen und unzählige enge Treppenaufstiege erstreckte) in einem Raum Platz nehmen. Der dienstälteste Gastbegrüßer bei der ISKCON London und ein weiterer Mönch, der aus dem schottischen ISKCON-Tempel zu Besuch war, standen uns danach Rede und Antwort. Sie erzählten viel aus ihrem Alltag im Tempel, über das Zusammenleben in einer Metropole wie London und darüber, wie sich die gesellschaftliche Sicht auf die Bewegung über die Jahrzehnte verbessert hat — so dass die Hare-Krishnas inzwischen ein ganz selbstverständlicher Teil von Londons multikultureller Gesellschaft sind.
Website: https://iskcon.london/
Für REMID e.V. war es eine tolle Möglichkeit, sich international zu vernetzen und von anderen Organisationen, die sich mit der Erforschung von Neuen Religiösen Bewegungen und der Informationsvermittlung beschäftigen, zu lernen.
Mona Stumpe, Juni 2024