REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Der Begriff “Weltreligionen” wird häufig verwendet, um die großen religiösen Traditionen wie das Christentum, den Islam, das Judentum, den Hinduismus und den Buddhismus zu umfassen. Jedoch birgt dieser Begriff einige Probleme und Herausforderungen:
- Westliche Zentrierung: Die Verwendung des Begriffs “Weltreligionen” reflektiert oft eine westliche Perspektive, die hauptsächlich auf die “großen” Religionen fokussiert ist, die historisch und kulturell im Westen stark vertreten sind. Dadurch werden viele andere religiöse Traditionen, Praktiken und Glaubensrichtungen, die außerhalb des westlichen Kontextes existieren, vernachlässigt oder marginalisiert.
- Homogenisierung vielfältiger Traditionen: Die Zusammenfassung verschiedener Religionen unter dem Begriff “Weltreligionen” neigt dazu, die Vielfalt, Komplexität und internen Unterschiede innerhalb jeder Religion zu vernachlässigen — besonders bei den polytheistischen Traditionen. Jede Religion hat zahlreiche Strömungen, Traditionen und Interpretationen, die oft in einem vereinfachten Bild verloren gehen.
- Koloniale Überreste: Die Etablierung des Begriffs “Weltreligionen” ist historisch oft mit kolonialen Bestrebungen verbunden gewesen, bei denen westliche Eroberer und Forscher versuchten, nicht-christliche Religionen zu systematisieren und zu klassifizieren. Dies hinterließ eine Vorstellung von Hierarchien und Superioritätsansprüchen zwischen verschiedenen Religionen.
- Ausgrenzung anderer Glaubenssysteme: Die Verwendung des Begriffs “Weltreligionen” schließt oft lokale, indigene oder kleinere religiöse Praktiken aus, die nicht in das klassische Verständnis der großen, institutionalisierten Religionen passen. Dadurch wird die Vielfalt und Bedeutung dieser Glaubenssysteme oft ignoriert oder marginalisiert.
Um eine differenziertere und inklusivere Betrachtung religiöser Traditionen zu fördern, bevorzugen religionswissenwschaftliche Expert*innen daher Begriffe wie “Religionen der Welt” oder “Globale religiöse Vielfalt”. Diese Begriffe betonen die Diversität und Komplexität der weltweiten religiösen Landschaft, ohne bestimmte Glaubenssysteme zu bevorzugen oder andere auszugrenzen.
“Weltreligionen” als christliches, theologisches Konzept
Der Begriff “Weltreligionen” wurde ursprünglich in der Theologie verwendet, um ältere Vorstellungen von einem weltweiten Heidentum zu ersetzen. Dieser Begriff trennte sogenannte “Hochreligionen” wie den Islam und das Judentum (monotheistische, bzw. abrahamitische Religionen) von diesem vermeindlichen Heidentum ab. Christliche Kirchen suchten nach unterschiedlichen Strategien im Umgang mit diesen Hochreligionen im Vergleich zu sogenannten “Sekten” (eigentlich Neue Religiöse Bewegungen, siehe Sektenbegriff) und “Kulten” (Religionen von sogenannten “schriftlosen” Kulturen).
Bis heute verdeutlichen theologische Lehrstühle für “Religions- und Missionswissenschaften”, dass dieses Fach einst entwickelt wurde, um die Missionierung insbesondere bei Anhängern dieser “Weltreligionen” zu erleichtern. Das Konzept der Weltreligionen fördert weiterhin den Ansatz, aus der Vielfalt dieser Hochreligionen eine umfassende, jedoch einseitige Betrachtung des Heiligen in der Welt zu schaffen – ein Versuch, eine Phänomenologie “der Religion” im Singular zu entwickeln.
Diese Ansätze stehen im Widerspruch zu einer rein religiösen Betrachtungsweise und gehen gegen den methodischen Agnostizismus vor, den die säkulare Religionswissenschaft seit etwa 1900 als Grundlage für ihre Entwicklung betrachtet. Agnostizismus bedeutet, dass man davon ausgeht, dass beispielsweise die Existenz Gottes nicht definitiv bewiesen werden kann. Da es außerhalb der monotheistischen Religionen nicht nur um Gott geht und andere Fragen die Metaphysik und Skepsis in diesen Religionen beeinflussen können, wurde eine grundsätzliche Kritik an der Terminologie bei der Beschreibung von Religionen angeregt.
Kris Wagenseil (2019), Überarbeitung Mona Stumpe (2023)