Religion auf Instagram — Interview mit Prof. Dr. Viera Pirker und Paula Paschke

Prof. Dr. Viera Pirk­er, Pro­fes­sorin für Reli­gion­späd­a­gogik und Medi­en­di­dak­tik an der Goethe-Uni­ver­sität Frank­furt am Main sowie seit 2024 Vizepräsi­dentin der Goethe-Uni­ver­sität für Studi­um und Lehre, und Paula Paschke, wis­senschaftliche Mitar­bei­t­erin an der Pro­fes­sur für Reli­gion­späd­a­gogik und Medi­en­di­dak­tik, veröf­fentlicht­en Anfang 2024 den Sam­mel­band „Reli­gion auf Insta­gram: Analy­sen und Per­spek­tiv­en“. Der Sam­mel­band knüpft an die von der Pro­fes­sur organ­isierte Online-Tagung „Reli­gion auf Insta­gram: Plat­tform – Con­tent – User – Prax­is“ im Feb­ru­ar 2023 an und the­ma­tisiert die religiöse Kom­mu­nika­tion im dig­i­tal­en Raum. Er bietet Ein­blicke in die Entwick­lung von Insta­gram-Kanälen, neue For­men der Gemein­schafts­bil­dung und des Net­zw­erkens sowie in die Rolle religiös­er Influencer*innen und deren Wahrnehmung durch religiös und kul­turell inter­essierte Jugendliche und junge Erwach­sene.


Anlässlich der Veröf­fentlichung des Sam­mel­ban­des und der span­nen­den Ein­blicke in die Nis­che der religiösen Kom­mu­nika­tion im dig­i­tal­en Raum, führte REMID-Prak­tikan­tin Emil­ia Mappes ein Inter­view mit Viera Pirk­er und Paula Paschke.

Sie bei­de sind Teil des Teams der Pro­fes­sur für Reli­gion­späd­a­gogik und Medi­en­di­dak­tik, als Lei­t­erin der Pro­fes­sur und als wis­senschaftliche Mitar­bei­t­erin. Die Pro­fes­sur gehört zum Fach­bere­ich der Katholis­chen The­olo­gie der Goethe-Uni­ver­sität und fällt somit unter den Schw­er­punkt der The­olo­gie und nicht der Reli­gion­swis­senschaft. Den­noch ist die Auswahl der Autor*innen Ihres Sam­mel­ban­des vielfältig, sowohl Theolog*innen als auch Religionswissenschaftler*innen sind vertreten. Wie wur­den die Autor*innen aus­gewählt? War es von Bedeu­tung, ob es sich um Theolog*innen oder Religionswissenschaftler*innen han­delte? Wenn ja, warum?

Mit dem Sam­mel­band woll­ten wir ganz bewusst das Forschungs­feld durch unter­schiedlich­ste prak­tis­che und the­o­retis­che Per­spek­tiv­en aus ver­schiede­nen Diszi­plinen bege­hen – the­ol­o­gisch, reli­gion­swis­senschaftlich, medi­en­wis­senschaftlich:  Der Sam­mel­band eröffnet ein bre­ites fach­wis­senschaftlich­es, aber auch prak­tisch ori­en­tiertes Panora­ma auf das große, kom­plexe und höchst dynamis­che Feld „Reli­gion auf Insta­gram“, das sich im Rah­men des wach­senden Forschungs­feldes der Dig­i­tal Reli­gion bewegt. Die unter­schiedlichen Per­spek­tiv­en sind auch für andere Diszi­plinen nutzbar, beispiel­sweise forschungsethis­che und ethisch-anthro­pol­o­gis­che Imp­lika­tio­nen. Wir haben die Autor*innen aus­gewählt ent­lang ihrer vorhan­de­nen Forschungss­chw­er­punk­te, und auch, um spez­i­fis­che Erfahrungsräume mit darin abzu­bilden. Wir schauen beson­ders, aber nicht auss­chließlich auf christliche Phänomene, die in der auf die Plat­tform bezo­ge­nen Forschung, nicht nur im deutschsprachi­gen Raum, bis­lang eher wenig Aufmerk­samkeit bekom­men.

Auch die Schw­er­punk­te der Autor*innen sind vielfältig, und sie repräsen­tieren unter­schiedliche Alters­grup­pen. Lisa Men­zel von @faithpwr zum Beispiel gehört mit ihren 27 Jahren wahrschein­lich zur Gen­er­a­tion, die Insta­gram häu­fig nutzt. Spielte das Alter bei der Auswahl der Autor*innen eine Rolle, ins­beson­dere im Kon­text von Insta­gram? Hat es Vorteile gebracht, auch jün­gere Autor*innen im Team zu haben? Welche weit­eren Kri­te­rien haben Sie bei der Auswahl der Autor*innen berück­sichtigt?

Möglicher­weise ist dies bei einem solchen The­men­feld wie „Insta­gram“ nochmal eine Beson­der­heit, ger­ade weil die Mehrheit der Nutzer*innen auf der Plat­tform unter 35 Jahren alt ist und wir auch eher jün­gere Forschende in der reli­gions­be­zo­ge­nen Forschung und Prax­is iden­ti­fiziert haben, die auch eine entsprechende Feld­kom­pe­tenz mit­brin­gen. Als „Dig­i­tal Natives“ sind sie selb­st mit den plat­tform­spez­i­fis­chen Kom­mu­nika­tions­for­men aufgewach­sen. Uns war es zudem wichtig, Ear­ly Career Researcher einzu­binden, um ihnen eine Plat­tform für ihre Ideen und ihre Forschung zu bieten. Dazu gehörte auch ein aktives Scout­ing und die Ein­ladung, beste­hende Ansätze in die Rich­tung des Sam­mel­bands weit­erzuen­twick­eln. Und natür­lich wer­den auch beste­hende Net­zw­erke der Pro­fes­sur sicht­bar.

Aber natür­lich find­en sich auch Per­so­n­en unter den Autor*innen, die eine Zeit „vor“ den neuen Kul­tur­prak­tiken der Algo­rith­miz­ität, Gemein­schaftlichkeit und der Ref­eren­zial­ität erlebt haben und an ihre beste­hende Forschung anknüpfen kön­nen. Zen­trale Kri­te­rien war ins­ge­samt die Schw­er­punk­te der Per­so­n­en, unter­schiedliche Fach­per­spek­tiv­en und ein aus­ge­wo­ge­nen The­o­rie-Prax­is-Ver­hält­nis.

Die Pro­fes­sur für Reli­gion­späd­a­gogik und Medi­en­di­dak­tik hat, wie auch REMID, einen eige­nen Insta­gram-Account. Wür­den Sie das, was Sie auf Insta­gram tun, eben­falls als religiöse Kom­mu­nika­tion beschreiben? Wenn ja, welche per­sön­lichen Her­aus­forderun­gen haben Sie dabei erlebt?

Als The­ologin­nen kom­mu­nizieren wir natür­lich reli­gions­be­zo­gene Inhalte auf unserem Insta­gra­mac­count @mediendidaktik.frankfurt, allerd­ings ord­nen wir diesen ins­ge­samt eher der Wis­senschaft­skom­mu­nika­tion zu. Wir wollen auch ein gewiss­es „Feel­ing“ über­mit­teln, indem wir aktuelle Memes und Bewe­gun­gen, die wir in Insta­gram ent­deck­en, teilen und auch zur Diskus­sion zu stellen. Wir bemühen uns generell, unsere Forschung, Lehre und unser Arbeit­en, das sich sehr in Net­zw­erken wie zum Beispiel dem @relilab abspielt, auch auf Social Media sicht­bar zu machen. Das Buch über die Social-Media-Plat­tform Insta­gram haben wir auch als Exper­i­men­tier­feld genutzt: Wir haben als Herausgeber*innen in Unter­stützung durch die beteiligten Autor*innen auch auf Insta­gram eine hohe Sicht­barkeit von Tagung, Sam­mel­band und Fach­tag angestrebt.

Bei einem Blick auf unseren Insta­gram-Kanal wird deut­lich, wie das aussieht: Das bein­hal­tete Ein­blicke in die Tagungsvor­bere­itung wie das Befüllen und Versenden der Good­ie-Bags an die Referent*innen als soge­nan­ntes Reel, wiederum deren Unbox­ing in reposteten Insta­gram-Sto­ries, Sharepics zum Teilen, Live-Berichter­stat­tung über aktuelle Vorträge, Unbox­ing-Videos zum Erscheinen des Buch­es, Reposten von Leser*innen-Stories. Wie liebten die 1‑Minute Buchvorstel­lung als Reel-Form durch Prof. Dr. Anna Neu­maier und natür­lich die Wer­bung für den Fach­tag im Mai 2024, die über zahlre­iche Kanäle einiges an Öffentlichkeit erzeugt hat. Die Inhalte des Buch­es indes, und auch der Tagun­gen haben wir bis­lang wenig ver­sprach­licht: Die Her­aus­forderun­gen sind sicher­lich, dass Wis­senschaft­skom­mu­nika­tion auf Social Media noch ein recht neues Feld für Wissenschaftler*innen ist, dabei neue Sprach- und Kom­mu­nika­tions­for­mate gefun­den wer­den müssen und auch die zeitlichen Ressourcen eher rar gesät sind.

Welche Chan­cen und Gefahren sehen Sie für die religiöse Kom­mu­nika­tion auf Social-Media? Welche Unter­schiede und Gemein­samkeit­en bieten sich im Ver­gle­ich zur religiösen Kom­mu­nika­tion im analo­gen Raum? Betra­cht­en Sie dies als ergänzen­des Konzept, also dig­i­tale religiöse Gemein­schaften ergänzend zu analo­gen religiösen Gemein­schaften, oder herrscht ein Konkur­ren­zkampf? Wie sollte Ihrer Mei­n­ung nach gute religiöse Kom­mu­nika­tion auf Insta­gram ausse­hen? Gibt es beson­dere Aspek­te, die beachtet wer­den müssen?

Das Spek­trum religiös­er Kom­mu­nika­tion auf Insta­gram ist bre­it und mitunter auch über­raschend. So fall­en evan­ge­likale Accounts oft­mals durch polar­isierende Ein­stel­lun­gen wie zum Gen­derdiskurs auf, während eher lib­er­al einzustufende Accounts oft­mals alter­na­tive Stand­punk­te zu The­men­feldern anbi­eten, die in Kirchen und Reli­gion­s­ge­mein­schaften nur langsam vorankom­men. Diese erre­ichen oft­mals nur ein kleineres Pub­likum. So oder so han­delt es sich dabei allerd­ings um Per­so­n­en, die auch in ihren eige­nen „analo­gen“ religiösen Gemein­schaften meis­tens recht aktiv sind. Insta­gram ist für viele eine „Ergänzung“ zu bere­its beste­hen­den Aktiv­itäten. Dass Reli­gion­s­ge­mein­schaften zunehmend die Rel­e­vanz und auch den Arbeit­saufwand von Social-Media Arbeit sehen, wird auch im Beitrag von Prof. Dr. Chris­tine W. Hoff­mann the­ma­tisiert: Manche Kirchen fördern beste­hende Reich­weit­en auf Insta­gram mit Stel­lenan­teilen, zum Beispiel für Pfar­rper­so­n­en.

Ein Konkur­ren­zkampf beste­ht möglicher­weise vor allem hin­sichtlich der Aufmerk­samkeit­sökonomie, die auf Insta­gram stark umkämpft und durch plat­tform­spez­i­fis­che Logiken der Algo­rith­miz­ität geprägt ist. Damit beste­ht das Risiko, dass radikalere oder polar­isierende Inhalte mehr Reak­tio­nen gener­ieren und dadurch an Sicht­barkeit und Reich­weite gewin­nen. Doch diese mitunter auch in der öffentlichen Wahrnehmung dom­i­nant wirk­enden Inhalte füllen längst nicht den Raum, son­dern es sind viele sach­liche, humor­volle und vor allem fundierte religiöse Inhalte vertreten. Wir plädieren für mehr medi­en­di­dak­tisch ver­sierte Praktiker*innen auf Insta­gram.

In einem anderen von mir geführten Inter­view habe ich gel­ernt, dass die Kom­mu­nika­tion­ssi­t­u­a­tion im dig­i­tal­en Raum eine ganz andere ist als im analo­gen Raum und dass sich unsere Kri­te­rien für die Per­so­n­en, denen wir ver­trauen, dort deut­lich­er abbilden. Laut PD Dr. Jan-Hin­rik Schmidt, Senior Researcher für dig­i­tale inter­ak­tive Medi­en und poli­tis­che Kom­mu­nika­tion, haben sich in Social-Media ein­er­seits epis­temis­che Autoritäten entwick­elt, während ander­er­seits ein Ver­trauensver­lust in etablierte Autoritäten existiert. Authen­tiz­ität, Trans­parenz und Glaub­würdigkeit spie­len im dig­i­tal­en Raum eine wichtige Rolle und entschei­den, wem wir unsere Aufmerk­samkeit und unser Ver­trauen schenken oder eben nicht.

Nun kön­nen wir uns gut vorstellen, dass auch Accounts bzw. religiöse Influencer*innen, die nichts mit der Insti­tu­tion „Kirche“ zu tun haben, mit ihr in Verbindung gebracht wer­den und mit Kri­tik in ihren Kom­mentaren rech­nen müssen. Die Kirche als Insti­tu­tion wird meines Eracht­ens eher als eine etablierte Autorität ange­se­hen, die aktuell an Glaub­würdigkeit ver­liert (auf­grund der fehlen­den Trans­parenz und Kri­tik­fähigkeit).[1] Ins­beson­dere im dig­i­tal­en Raum entschei­det Glaub­würdigkeit zwis­chen Erfolg oder eben Mis­ser­folg. 

  • Bet­rifft der Glaub­würdigkeitsver­lust der Kirche auch die Insta­gram-Accounts der religiösen Influencer*innen? Haben Sie beobachtet, dass religiöse Influencer*innen im Ver­gle­ich zu (beispiel­sweise) Beauty-Influencer*innen größere Her­aus­forderun­gen haben, sich eine Follower*innenschaft aufzubauen?
  • Erre­ichen die religiösen Influencer*innen auch an Nutzer*innen außer­halb ihrer „Bub­ble“?
  • Wie wer­den religiöse Influencer*innen ihrer Ansicht nach auf Insta­gram wahrgenom­men? Wer­den sie mit offe­nen Armen begrüßt oder eher kri­tisch betra­chtet?

Die Glaub­würdigkeit der Reli­gion­s­ge­mein­schaften ist für den konkreten Erfolg auf der Plat­tform weniger wichtig als die Glaub­würdigkeit der Instagram-Akteur*innen. Diese wer­den dur­chaus auch zu eige­nen, neuen Autoritäten. Authen­tiz­ität ist der Begriff, an dem dies auch in der Forschung zu Dig­i­tal Reli­gion reflek­tiert wird, wobei Authen­tiz­ität auf Social-Media in der Rezep­tion der Accounts kon­stru­iert wird. Natür­lich erre­icht reli­gions­be­zo­gene Kom­mu­nika­tion auf Insta­gram eher Men­schen, die nicht vol­lkom­men grund­sät­zlich mit Reli­gion gebrochen haben. Doch sie erre­icht viele Men­schen, die keine „analoge Nähe“ zu religiös­er Prax­is pfle­gen. Spir­i­tu­al­ität, Sinnsuche, Lust auf kleine Andachts­for­mate, Bedarf an seel­sor­glichen Fra­gen und Inter­esse für religiöse Bil­dung: Diese Aspek­te begeg­nen in der Plat­tform, und aktive Creator*innen bericht­en von vielfälti­gen Begeg­nun­gen und Erfahrun­gen, die sie in dieser Weise auf Social-Media nicht erwartet hät­ten.

Im Buch stam­men viele der näher analysierten Accounts aus evan­ge­lis­chen und freikirch­lichen Rich­tun­gen, während eine deutschsprachi­gen (römisch-)katholische Kom­mu­nika­tion auf Insta­gram bis­lang gerin­gere forschende Aufmerk­samkeit erhält. Ins­beson­dere Accounts, die nicht für die Großkirchen ste­hen, scheinen oft­mals eine größere medi­ale und auch wis­senschaftliche Aufmerk­samkeit zu gener­ieren. Evan­ge­lis­che Christfluencer*innen sind keineswegs unbe­d­ingt die reich­weit­en­stärk­eren, doch sie suchen häu­figer mit plat­tform­spez­i­fis­chen Tech­niken einen direk­ten und wiederkehren­den Kon­takt mit ihren Com­mu­ni­ties und ste­hen für poli­tis­che und gesellschaftliche Posi­tio­nen ein, die in der Öffentlichkeit kon­tro­vers disku­tiert wer­den. Zugle­ich hat Knut Worm­städt in seinem Beitrag verdeut­licht, dass es ein gewiss­es Vor­wis­sen braucht, um diese denom­i­na­tionellen Unter­schiede wahrzunehmen und sie einzuord­nen. Ins­ge­samt ist eine Vielfalt an religiösen Posi­tio­nen zu Inhal­ten zu beobacht­en: lib­erale Accounts müssen mit recht­skon­ser­v­a­tiv­en Kom­mentaren und Reak­tio­nen rech­nen, recht­skon­ser­v­a­tive Accounts begeg­net Gegen­wind und Kri­tik durch lib­erale Theolog*innen. Sie bekom­men inzwis­chen auch mehr poli­tis­che Aufmerk­samkeit und kri­tis­che medi­ale Betra­ch­tung. Trotz des regen Aus­tauschs ist es in der Tat jedoch so, dass die Zahlen, über die wir sprechen, sich im sehr viel kleineren Bere­ich bewe­gen als es beispiel­sweise bei den großen Beautyinfluencer*innen der Fall ist.

Es gibt inzwis­chen auch eine Fol­low­er­studie, die zeigt, dass religiöse Influencer*innen vielfach in der gle­ichen „bub­ble“ fis­chen, aber zugle­ich auch mit spez­i­fis­chen Notions andere „bub­bles“ erre­ichen. Queer und Katholisch ergänzt sich in einem ide­alen Fall zu ein­er größeren Reich­weite in bei­den Bere­ichen. Die Wieder­erkennbarkeit spielt natür­lich eine große Rolle, und Accounts, die zum Fak­tor der Unter­hal­tung (die auch in spir­ituellen Momenten beste­hen kann!) beitra­gen oder durch ihr Sto­ry­telling und ihre Inter­ak­tiv­ität die Neugierde ihrer Fol­low­er zum Dran­bleiben ent­fachen, entwick­eln mehr Erfolg. Inter­es­sant ist dies­bezüglich im Buch der Beitrag von Lisa Quarch und Jan Kuhn, die Strate­gien der Kom­mu­nika­tion in Bezug auf die Arbeit an ihrem Account @faithpwr Strate­gien reflek­tieren

Am 12. Mai wurde in Hei­del­berg ein Tay­lor-Swift-Gottes­di­enst abge­hal­ten, mit „Pop-Beats statt Orgel­musik“ [2]. Bere­its drei Wochen vor Beginn war dieser primär von Jugendlichen aus­ge­bucht. Auch für den zweit­en Tay­lor-Swift-Gottes­di­enst waren die Karten schnell ausverkauft. [3]  Es scheint also nicht so zu sein, dass Reli­gion, Glaube oder der Wun­sch nach einem Ort, um den Glauben auszuleben oder ein­er Gemein­schaft anzuge­hören, abn­immt. Vielmehr scheinen sich viele Jugendliche ein­fach nicht mehr mit der „alten“ Tra­di­tion und ihrer bish­eri­gen Form ver­bun­den zu fühlen. In Hei­del­berg wur­den „alt“ und „neu“, „Tra­di­tion“ und „Mod­erne“ miteinan­der ver­bun­den, so wie es auch bei religiös­er Kom­mu­nika­tion auf Insta­gram der Fall ist. Der Gottes­di­enst war ein Muster­beispiel dafür, wie eine solche Ver­schmelzung erfol­gre­ich von­stat­tenge­hen kann.

  • Funk­tion­iert diese Kom­mu­nika­tion bzw. diese Ver­schmelzung von „altem“ und „neuem“ erfol­gre­ich auf Insta­gram? Wie wer­den die „alten christlichen Glaubensin­halte“ (Texte aus der Bibel, kon­ser­v­a­tive Geschlechter­bilder und Rollen etc.) auf­bere­it­et, um im mod­er­nen Phänomen „Social-Media“ erfol­gre­ich zu sein?

Diese Ver­schmelzung funk­tion­iert in manchen Fällen ziem­lich erfol­gre­ich. Spir­i­tu­al­ität, Sinn und Ori­en­tierung sind Aspek­te, die auf Social-Media im wach­senden Raum der Mündlichkeit und des Bewegt­bilds vielfach ver­han­delt wer­den und dort ein großes Pub­likum find­en. Dies kön­nen sich religiöse Gemein­schaften zu Nutzen machen, um hier auch ihre Per­spek­tiv­en einzubrin­gen. Nicht nur in Zeit­en der Krise kön­nen religiöse Grund­hal­tun­gen eigene Kraft entwick­eln. Was ‚alt‘ wirkt, funk­tion­iert auf Insta­gram keineswegs schlecht: Kun­st­geschichtliche Accounts, tra­di­tion­al­is­tis­che Welt­bilder eben­so wie Geschlechter­stereo­typen, beispiel­sweise die Trad­Wife-Bewe­gung auf Tik­Tok und Insta­gram, feiern große Erfolge. Das Römisch-Katholis­che wird auf Insta­gram ästhetisch – weltweit betra­chtet – reich­lich tra­di­tionell kom­mu­niziert. Die Bibel bleibt anscheinend das aktuell­ste Buch der Welt, wenn man sich die vie­len BibleRead­ing-Class­es, das Let­ter­ing, die Kurzpredigten anschaut. Auch hier begeg­nen, in neuer Bild­sprache und Kom­mu­nika­tion, oft erstaunlich unmod­erne Ansicht­en und auch mis­sion­ar­ische Per­spek­tiv­en, die von den Großkirchen längst ad acta gelegt wor­den sind. Ob dies schon die Sehn­sucht ein­er jun­gen Gen­er­a­tion nach mehr Ori­en­tierung zum Aus­druck bringt, die manche Kon­ser­v­a­tive darin sehen wollen, wäre zu beforschen.

Und der Gottes­di­enst in Hei­del­berg hat auf schöne Weise sicht­bar gemacht, dass auch tra­di­tionell-religiöse Ansätze wie Spir­i­tu­al­ität, Sinn und Ori­en­tierung mit The­men­feldern und Erfahrungsmo­menten verknüpft wer­den kön­nen, die ger­ade für junge Men­schen von Bedeu­tung sind. Litur­gisch ist Pop­musik im Gottes­di­enst nichts Neues, doch das tut der indi­vidu­ellen Bedeu­tung der jew­eili­gen Fans keinen Abbruch. Die Grund­frage bleibt doch immer iden­tisch: Wie trägt eine religiöse Überzeu­gung in der Gegen­wart, und kann sie Bedeu­tung für die Zukun­ft erlan­gen?

An dieser Stelle kom­men wir zu unser­er abschließen­den Frage und wer­fen einen Blick auf die zukün­ftige Entwick­lung der religiösen Kom­mu­nika­tion auf Insta­gram. Inwiefern wird die Präsenz von religiösen Influencer*innen oder religiösen Accounts auf Social Media die Zukun­ft des religiösen Diskurs­es bee­in­flussen?

Auch dies war The­ma des Sam­mel­ban­des. In unseren eige­nen Beiträ­gen geht es beispiel­sweise um „#out­inchurch – Hash­ta­gak­tivis­mus für die Kirch­enen­twick­lung auf Insta­gram“. Dazu hat Paula Paschke die Macht- und Author­itätsver­schiebung reflek­tiert, die auch nicht-insti­tu­tionelle Akteur*innen gener­ieren kön­nen, um Diskurse in religiösen Gemein­schaften zu bee­in­flussen. Gle­ichzeit­ig spielt dies auch für säku­lare Zusam­men­hänge eine wichtige Rolle: Im Beitrag zum Com­mu­ni­ty-Account von Insta­gram, dem eine wesentliche Bedeu­tung für die Rekon­struk­tion der Plat­tforminter­essen zukom­men, hat Viera Pirk­er eine Zu- und Abnahme mus­lim­isch geprägter spir­itueller Inhalte iden­ti­fiziert und reflek­tiert. Die Plat­tform selb­st nutzt religiöse The­men in strate­gis­chen Per­spek­tiv­en und mit eige­nen Inter­essen. Insta­gram ist nicht die Zukun­ft, wohl aber ein gegen­wär­tiger Spiegel des religiösen Diskurs­es, der für die Forschung weit­er­hin von hohem Inter­esse ist. Es wird auch inter­es­sant bleiben, ob und wie neben den Indi­viduen, die als Creator*innen unab­d­ing­bar sind, sowohl religiöse Gemein­schaften als auch säku­lare Organ­i­sa­tio­nen das kom­mu­nika­tive Poten­tial nutzen wer­den.

Inter­view: Emil­ia Mappes, 2024


[1] https://www.kirche-und-leben.de/umfrage-katholische-kirche-verliert-massiv-an-glaubwuerdigkeit#:~:text=Eine%20neue%20Umfrage%20bescheinigt%20der,und%20die%20Moralvorstellungen%20der%20Kirche.

[2] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/taylor-swift-gottesdienst-in-heidelberg-100.html

[3] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/taylor-swift-gottesdienst-in-heidelberg-100.html