REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
“Heidentum” wurde als Oberbegriff für verschiedene Formen der nicht-christlichen oder alternativen Spiritualität verwendet — darunter polytheistische, animistische, naturreligiöse oder neopaganistische Traditionen. Der Begriff “Heidentum” spiegelt ein ethnozentrisches oder abwertendes Verständnis von nicht-christlichen oder nicht-monotheistischen Glaubenssystemen wider. Insbesondere aus christlicher Perspektive galten zunächst alle Religionen außer Judentum und Islam (letzterer wurde zumeist eher als christliche Häresie bekämpft) als “Götzendienst” bzw. “Heidentum”.
Abwertender Sammelbegriff
Zwar wurde den “Heiden” in der europäischen Frühen Neuzeit bereits eine Art “natürliche Religion” zugesprochen (im Gegensatz zum Offenbarungswissen der Schriftreligionen), doch insgesamt ist “Heidentum” aber ein abwertender Sammelbegriff, der stark heterogene Religionsformen unter ein Dach bringt. Und es macht die Sache auch nicht besser, stattdessen von “Naturreligionen” oder “Schamanismus” zu sprechen. So wie vielleicht einst Internetreligionen die Gleichförmigkeit von vordigitalen Buchreligionen belächeln werden, ergibt sich die vermeintliche Ähnlichkeit “heidnischer” bzw. “ethnischer” Religionen aus einer Ignoranz gegenüber deren Primat der Praxis. Bereits die Religionen der mediterranen Antike sowie später die Entzifferung der Schriften des alten Ägyptens sowie der mesoamerikanischen und mesopotamischen Kulturen führen den Stadt-“Heide”-Gegensatz ad absurdum.
Positives Reclaimen
Dennoch gibt es heute (seit dem 19. Jahrhundert) Religionsformen, die sich positiv als “Heidentum” verstehen und die keltische, germanische, slawische, römische oder aztekische Religionen wiederbeleben. Es ist aber alleine deshalb schon nicht sinnvoll, diese ein “Neuheidentum” (oder Neopaganismus) zu nennen, weil damit suggeriert wird, es wäre weiterhin sinnvoll, von einem “Altheidentum” zu sprechen.
Text: Kris Wagenseil (2015), Aktualisierung Mona Stumpe (2023)