REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Der Begriff der “Gehirnwäsche” wurde und wird alltagssprächlich verwendet, um einen starken Einfluss auf das Denken und Verhalten von Menschen in religiösen Gruppen oder ideologischen Bewegungen zu kennzeichnen, oft ohne ihre Zustimmung oder bewusste Einwilligung.
Jedoch wird die Verwendung des Begriffs “Gehirnwäsche” in der Religionswissenschaft kritisch betrachtet, da der Begriff einen automatischen und zwanghaften Einfluss impliziert, während religiöse Überzeugungen und Gruppenzugehörigkeiten oft auf vielfältigen und komplexen Entscheidungen und sozialen Interaktionen basieren.
Mentale Manipulation?
Fälschlicherweise suggeriert dieser Begriff eine problematische Vorstellung von Identitätsaustausch, welche modernen Theorien über die menschliche Psyche entgegensteht. Im Rahmen von Kriegsverbrechen mittels Folter oder dem Einsatz von Drogen werden zwar gezielt Traumatisierungen verursacht, aber die Vorwürfe — vor allen neuen Religionen gegenüber — beziehen sich in den meisten Fällen auf eine “mentale Manipulation”, deren behauptete sozusagen “hypnotische” Wirkung wissenschaftlichen Überprüfungen nicht standhält.
Andererseits können Rituale außergewöhnliche Erfahrungen evozieren, die sich somit nachhaltig auswirken. Retraumatisierungen sind also grundsätzlich möglich, aber dies gilt für jede Form eines religiösen Rituals. Außerdem hat das nichts mit dem behaupteten Identitätsaustausch zu tun. Der Begriff “Gehirnwäsche” suggeriert – aus der Perspektive eines maximalen Unverständnisses Konvertit*innen gegenüber – zudem notwendig ein Täter-Opfer-Verhältnis, wie als ob die Anwerbung und “Überzeugung” nur mit Anwendung von körperlicher oder psychischer Gewalt habe möglich gewesen sein können. Für Re-Konvertit*innen (oder “Aussteiger*innen”) bietet der Gehirnwäsche-Begriff die Möglichkeit einer einseitigen Schuldzuweisung an die “Sekte”).
Text: Kris Wagenseil, Aktualisierung Mona Stumpe (2023)