Theorie und Empirie in der gegenwartsbezogenen Forschung

Work­shop mit Prof. Dr. Eva Spies (Uni­ver­sität Bayreuth) und Jun. Prof. Dr. Anna Neu­maier (Ruhr Uni­ver­sität Bochum)

In diesem Som­merse­mes­ter ging „Map­ping Reli­gion­swis­senschaft“ in die dritte Runde, und dies­mal stand eine Schlüs­sel­stelle der Wis­senschaft im Zen­trum der Aufmerk­samkeit: Es ging um das Ver­hält­nis von Mate­r­i­al und The­o­rie. Der erste Work­shop der Rei­he stellte die gegen­warts­be­zo­gene Forschung in den Mit­telpunkt; zu Gast waren Prof. Dr. Eva Spies (Uni­ver­sität Bayreuth) und Jun.-Prof. Dr. Anna Neu­maier (Uni­ver­sität Bochum). Unter den Teil­nehmenden war auch dieses Mal von Studieren­den in den ersten Bach­e­lorse­mes­tern bis zu Post-Docs aus ganz Deutsch­land und der Schweiz alles vertreten. Schon zu Beginn stell­ten wir uns zahlre­iche Fra­gen: Wie schafft man den Sprung vom Mate­r­i­al zur (eige­nen) The­o­rie? Wie behält man den Überblick im „Dschun­gel der The­o­rien“? Und wie kreativ kann oder darf man im Umgang mit Meth­o­d­en und beste­hen­den The­o­rien sein?

Bevor diese Fra­gen weit­er disku­tiert wur­den, stell­ten die Wis­senschaft­lerin­nen ihren Werde­gang und den eige­nen Zugang zu The­o­rien und Meth­o­d­en vor. Bei Anna Neu­maier kam dabei beson­ders der kreative Umgang mit ver­schiede­nen Meth­o­d­en – von ethno­graphis­chem bis zu dig­i­talem Forschen – zur Sprache, der sich aus der wis­senschaftlichen Veror­tung in ver­schiede­nen Fäch­ern vom Beginn des Studi­ums bis heute ergab. Diese Inter­diszi­pli­nar­ität und der Ein­bezug ver­schieden­ster Meth­o­d­en ist auch der Offen­heit und Inter­diszi­pli­nar­ität des Fachs Reli­gion­swis­senschaft selb­st zu ver­danken. Dabei betonte Anna Neu­maier auch, dass die The­o­rie in der Wis­senschaft meist ein männlich beset­ztes Feld war, was unter den Teil­nehmenden zu einem Aus­tausch von Lit­er­atur­tipps weib­lich­er The­o­retik­erin­nen führte.

Eva Spies’ Forschungsaus­rich­tung war stets ethno­grafisch, verän­derte sich dabei aber auch mit der Zeit. Sie betonte stark den Ein­bezug postkolo­nialer Stand­punk­te, auch in Bezug auf die eigene Per­son und Posi­tion: The­o­retisieren dürfe in der ethno­grafis­chen Forschung nie bei ein­er Kon­struk­tion des Anderen ste­hen bleiben, son­dern müsse auch in Inter­ak­tion mit den Men­schen vor Ort erfol­gen; dabei sei auch eine Reflex­ion der eige­nen Forschungsethik und Situ­iertheit wichtig. Zudem fehlten nicht nur weib­liche und non-binäre Beiträge zu The­o­rie, auch außereu­ropäis­che Per­spek­tiv­en wür­den oft vergessen.

In der anschließen­den Diskus­sion kam der Schritt von der Empirie zur The­o­rie zur Sprache: Bei­de Forscherin­nen beton­ten, dass The­o­rie und Empirie stets miteinan­der verknüpft sind. Die The­o­rie gehört also nicht bloß ans Ende des Forschung­spro­jek­tes, bere­its mit der Auswahl der Forschungsmeth­o­d­en zu Beginn eines Pro­jek­tes macht man die ersten Schritte hin zur Genese ein­er The­o­rie. Dabei hat sich die Forschung von der Vorstel­lung ein­er The­o­rie als all­ge­me­ingültigem Kon­strukt gelöst, die The­o­rie muss vielmehr zum Forschungs­ge­gen­stand passen und ist damit stark kon­textge­bun­den, in Anna Neu­maiers Worten eine „Momen­tauf­nahme“. Dieser Zugang zu The­o­rie und Methodik erlaubt ein flex­i­bles Arbeit­en mit ver­schieden­sten Meth­o­d­en und einen kreativ­en und kri­tis­chen Umgang mit beste­hen­den The­o­rien, da nicht beste­hende The­o­riekon­struk­te, son­dern stets die eige­nen Forschungs­frage im Mit­telpunkt ste­hen sollen.

Sowohl die Ref­er­entin­nen als auch die Teil­nehmenden äußerten den Wun­sch nach einem stärk­eren Ein­bezug von The­o­riege­nese in der Lehre, Eva Spies betonte hier­bei auch die im Studi­um oft­mals nicht ver­mit­telte Selb­stre­flex­ion. Dieses Ver­hält­nis von The­o­rie und Methodik war dabei auch in der fol­gen­den Ver­net­zung noch ein­mal The­ma.

Dieser erste Work­shop im Früh­jahr 2023 bot uns einen Ein­blick in die Vielfältigkeit des Feldes von The­o­rie und qual­i­ta­tiv­er Forschung, und wir kamen zum Faz­it: Nie­mand hat den einen Weg, wie die The­o­riebil­dung funk­tion­iert – Kreativ­ität ist gefragt!