REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
„Wem eine tüchtige Frau beschert ist, die ist viel edler als die köstlichsten Perlen“ (Sprüche 31,10)
Die biblische Legitimierung des Frauenbildes in der Quiverfull-Bewegung aus Aussteiger:innenperspektiven
Meine Masterarbeit wurde 2023 im Fach Religionswissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen verfasst. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Ilinca Tanaseanu-Döbler (Institut für Religionswissenschaft) und Dr. Mehmet Kalender (Institut für Soziologie). Das Thema der Masterarbeit lautete „Aussteiger:innenperspektiven auf das Frauenbild in der Quiverfull-Bewegung“. Für die Arbeit habe ich eine empirische Erhebung mit sieben ehemaligen Mitgliedern von Quiverfull durchgeführt.
Was ist die Quiverfull-Bewegung und wodurch zeichnet sie sich aus?
Quiverfull ist eine aus dem US-amerikanischen Evangelikalismus hervorgegangene Bewegung, die insbesondere durch die Veröffentlichungen von Mary Pride (1985) und Rick und Jan Hess (1990) geprägt wurde. Das Wort ‚Quiverfull‘ ist inspiriert von Psalm 127,3–5, und das zentrale Ziel von Quiverfull-Familien ist es, so viele Kinder zu bekommen, wie Gott es erlaubt. Kinder werden als Pfeile und somit als Waffe im religiösen Kampf für das Christentum angesehen: „Like arrows in the hand of a warrior are the children of one’s youth. Blessed is the man who fills his quiver with them!” (ESV, Psalm 127,4–5).
Zentral für das Selbstverständnis der Bewegung ist dabei das Frauenbild, das durch die Bibel legitimiert und durch spezifische Rollen- und Geschlechternormen bestimmt wird. Die Bibel dient als maßgebliche Autorität. Quiverfull hat keine zentral geführte Organisation. Es werden verschiedene evangelikale Personen zur Führung der Bewegung gezählt (meine Interviewpartner:innen waren beispielsweise durch Bill Gothard, aber auch Doug Phillips und Voddie Baucham beeinflusst). In der Quiverfull-Bewegung werden Frauen als Hausfrauen und Mütter definiert, deren Hauptaufgabe es ist, Kinder zu gebären, zu erziehen und den Haushalt zu führen. Die patriarchalen Strukturen schreiben der Frau eine dienende Rolle zu, während der Mann als „Haupt“ der Familie fungiert.
Es handelt sich bei Quiverfull um ein komplexes Phänomen, dem ein Blogartikel von dieser Länge selbstverständlich nicht gerecht werden kann, weshalb ich mich in diesem Artikel nur auf einen ausgewählten Schwerpunkt konzentriere.

(Bildquelle: Wikimedia)
Zentrale Bibelstellen für das Frauenbild
Im Vordergrund der Arbeit stand die Frage nach dem Frauenbild – zum einen habe ich die Frage nach wichtigen Bibelstellen für dieses Bild meinen Interviewpartner:innen bewusst gestellt. Zum anderen konnte ich auch in weiteren Erzählungen meiner Interviewpartner:innen biblische Motive und Metaphern identifizieren (teilweise ohne eine direkte Nennung durch Bibelverse), die wichtig für das Verständnis des Frauenbildes sind. Für die folgende Vorstellung ist es wichtig zu beachten, dass jede Bibelstelle auch immer in ihrem Kontext gelesen werden sollte und ich hier die Auslegung meiner Interviewpartner:innen wiedergebe.
„Proverbs 31 Woman“
Das Lob der tüchtigen Frau aus Spr 31,10ff. wurde mir von den meisten meiner Interviewpartner:innen als erstes genannt. Die dort porträtierte Frau hat viele Eigenschaften, an denen sich Quiverfull-Frauen orientieren sollen: Sie versorgt ihren Mann, sie ist tüchtig, fleißig und weise, ihre Kinder und ihr Mann loben sie. Sprüche 31,10 beschreibt ihre Vorbildfunktion: Sie ist edler als die köstlichsten Perlen. Da es sich um eine sehr lange Bibelstelle handelt, kann sie unter folgendem Link nachgelesen werden:
https://www.bibleserver.com/LUT/Spr%C3%BCche31
Titus 2,3–5
Wenn Titus 2,3–5 im Quiverfull-Bezug zitiert wird, geht es um die Ansicht, dass im Alter fortgeschrittene und im Glauben erfahrene Frauen junge Frauen spirituell anleiten sollen:
„[…] desgleichen den alten Frauen, dass sie sich verhalten, wie es Heiligen ziemt, nicht verleumderisch, nicht dem Trunk ergeben, fähig, Gutes zu lehren, damit sie die jungen Frauen zur Besonnenheit anhalten, dass sie ihre Männer lieben, ihre Kinder lieben, verständig seien, keusch, häuslich, gütig und sich ihren Männern unterordnen, damit nicht das Wort Gottes gelästert werde“ (Titus 2,3–5).
Mary Pride, eine entscheidende Stimme für die Formierung der Quiverfull-Ansichten, schreibt: „Titus 2:3–5 is the most important text in the Bible on married women’s roles, capsulizing a young wife’s marital, sexual, biological, economic, authority, and ministering roles.“1
Epheserbrief, Kapitel 5
Eph 5,21ff. dient der Quiverfull-Auslegung einer Hierarchie der Geschlechter. Frauen sollen sich dem Mann unterordnen. Im Kontext meiner Interviews wurden hier besonders oft die Wörter „submission“ und „authority“ genannt.
„Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi. Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist – er hat sie als seinen Leib gerettet. Aber wie nun die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen ihren Männern unterordnen in allen Dingen“ (Eph 5,21ff.).
Diese drei Stellen, die mir mehrheitlich als am wichtigsten für das Frauenbild genannt wurden, können auch in der bisherigen Forschung als Schlüsselstellen für das Verständnis der Bewegung ausgemacht werden.
Weitere Bibelstellen
Darüber hinaus nannten mir meine Interviewpartner:innen weitere Stellen für das Frauenbild, von denen ich hier eine Auswahl wiedergebe. Diese Stellen wurden von der Anzahl nicht so häufig hervorgehoben und variierten je nach Interviewpartner:in, ermöglichen aber dennoch weitere Schlüsse über das Frauenbild.
Die Stellen aus 1Tim 2,9–15 und 1Kor 14,34–35 beschreiben aus Quiverfull-Sicht das korrekte Verhalten von Frauen im Gottesdienst:
„[…] sollen die Frauen schweigen in den Gemeindeversammlungen; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wollen sie aber etwas lernen, so sollen sie daheim ihre Männer fragen. Es steht einer Frau schlecht an, in der Gemeindeversammlung zu reden“ (1Kor 14,34f.).
Die Stelle aus dem 1. Timotheusbrief kann unter folgendem Link nachgelesen werden:
https://www.bibleserver.com/LUT/1.Timotheus2
In weiteren Berichten ist häufig der Name “Eva” zu erkennen. Die Frau sei „nur die Rippe Adams“ (im Wortlaut einer meiner Informant:innen), was sich aus dem zweiten Schöpfungsbericht ableitet. Die „Helpmeet“ / „Helper“ ‑Metapher ist eine oftmals aufgegriffene Bezeichnung für die biblisch begründete Rolle der Frau. Stellen aus dem Alten und dem Neuen Testament wurden in meiner Erhebung insgesamt etwa gleich oft genannt.

Perspektiven von Aussteiger:innen
Die Aussagen meiner Interviewpartner:innen ermöglichen einen kleinen Einblick in die Vielfalt an Stimmen zu Quiverfull und bleiben deswegen zu einem gewissen Grad anekdotisch. Wichtig ist zu bedenken, dass ich ausschließlich die Perspektiven ehemaliger Mitglieder analysiert habe – die analysierten Stimmen haben sich mehrheitlich kritisch über ihre Erfahrungen geäußert. Damit fügen sie sich in einen wachsenden Diskurs ein, in dem Aussteiger:innen die Lehren der Bewegung kritisch beurteilen.
Zugleich stehen diese Bibelstellen und die verknüpften Merkmale und Vorschriften nicht ausschließlich für Quiverfull, sondern sie sind jeweils Teil eines eigenen Diskurses. So ist beispielsweise „male headship“, abgeleitet u.a. aus der Stelle des Epheserbriefes, ein Prinzip, das von Quiverfull-Familien praktiziert wird. Es wird jedoch auch von weiteren konservativen Christ:innen praktiziert, die sich nicht mit Quiverfull und seinen weiteren Zielen identifizieren würden.
Ergebnisse und zukünftige Forschungen
Quiverfull-Frauen erfüllen in der Theorie eine maximale Fruchtbarkeitserwartung. Zudem sind sie für das Homeschooling von oft mehreren Kindern verschiedenen Alters gleichzeitig sowie für das erfolgreiche Führen des Haushalts verantwortlich. Quiverfull-Autorin Nancy Campbell hebt die Rolle von Quiverfull-Müttern auf ihrem Blog mit folgenden Worten hervor: „Your task is not second rate. You are indispensable. As you build a stable home and mother your children, you determine the destiny of the nation.”2
Die Vorstellung der Bibelstellen hat verdeutlicht, dass Frauen zentrale Akteurinnen der Bewegung sind und es auch in Zukunft für die weitere Entwicklung von Quiverfull sein werden. Auffallend ist die Spannung zwischen der Betonung der weiblichen Rolle als „Akteurin“ und gleichzeitig fehlender Agency (Handlungsfähigkeit), was in weiteren Forschungen genauer untersucht werden sollte.
Der wissenschaftliche Diskurs über Quiverfull ist noch relativ jung und bietet ein breites Feld für zukünftige Forschungen. Meine eigene Untersuchung ist dabei ein kleiner Beitrag, der das Frauenbild der Bewegung aus der Perspektive von Aussteiger:innen beleuchtet. In meinem kürzlich begonnenen Promotionsprojekt plane ich, die Untersuchung zu Quiverfull auszuweiten.
Interessierte Leser:innen können die bisherige Forschung beispielsweise bei Kathryn Joyce (2009) oder Emily Hunter McGowin (2018) ausführlich nachlesen.
Helen Traupe, M.A., 2025
Anmerkung: Die Bibelstellen stammen aus der Lutherübersetzung 2017 und der English Standard Version (ESV).
Fußnoten:
- Mary Pride: The Way Home. Beyond Feminism, Back to Reality, Westchester, Illinois: Crossway, 19888 (1985), xi. ↩︎
- Zitat Nancy Campbell: You are nation builders, prepared by Nancy Campbell, Above Rubies, unter: https://www.aboverubies.org/~aboverub/index.php/2013–11-12–17-55–51/english-language/motherhood/1170-motherhood-you-are-building-a-nation (zuletzt aufgerufen 29.09.2024). ↩︎
Weiterführende Literatur:
Rick Hess / Jan Hess: A Full Quiver. Family Planning and the Lordship of Christ, Library of Congress Cataloging-in-Publication Data, zweite Ausgabe, 1990.
Kathryn Joyce: Quiverfull. Inside the Christian Patriarchy Movement, Boston: Beacon Press, 2009.
Emily Hunter McGowin: Quivering Families. The Quiverfull Movement and Evangelical Theology of the Family, Minneapolis: Fortress Press, 2018.