Eigentlich und im engen Sinn han­delt es sich um eine christlich-mit­te­lal­ter­liche Tra­di­tion, welche unter Bezug auf Schriften von Plotin und Pseu­do-Diony­sius von Aere­opagi­ta eine Vere­ini­gung mit Gott (unio mys­ti­ca) anstrebte und mit­teilte (wie Mar­garete Porete, Meis­ter Eckart, Hein­rich Seuse, Mechthild von Magde­burg).

Dabei spielte auch neg­a­tive The­olo­gie und der sen­sus mys­ti­cus eine Rolle, welch­er in der Lehre des vier­fachen Schriftsinns dem buch­stäblichen Sinn drei weit­ere beige­sellte: den alle­gorischen oder heils­geschichtlichen Sinn, den moralis­chen Sinn und den ana­gogis­chen oder escha­tol­o­gisch-endzeitlichen Sinn. Ursprünglich bestand keine inhaltliche Verknüp­fung mit der Tra­di­tion der antiken Mys­te­rien und ihren Ein­wei­hun­gen.

Ausweitung des chris­tilichen Begriffes auf andere Reli­gio­nen

Da der lateinis­che Aus­druck “mys­teri­um” (Geheim­nis) aber eben­falls eine Rolle als christlich­er ter­mi­nus tech­ni­cus erhielt und ety­mol­o­gis­che Bemühun­gen bei bei­den Begrif­f­en eine gemein­same griechis­che Wurzel aus­macht­en, wurde bere­its in der Frühen Neuzeit ein weit­er­er Mys­tik­be­griff üblich. Schließlich William James prägte in seinem Werk “Die Vielfalt der religiösen Erfahrung” 1902 einen Mys­tik­be­griff, der eben­falls jüdisch-kab­bal­is­tis­che (vgl. hier Elis­a­beth Hamach­er: Ger­shom Scholem und die all­ge­meine Reli­gion­s­geschichte, Berlin 1999), islamisch-sufistis­che, hin­duis­tis­che, bud­dhis­tis­che, daois­tis­che u.a. tradierten religiösen Erfahrung­sprax­en “Mys­tik” zu nen­nen pflegt – und selb­st in Psy­chi­a­trien “bei wahn­haften Geistesstörun­gen, die man auch Para­noia nen­nt” eine “Art dia­bolis­ch­er Mys­tik, eine[…] auf den Kopf gestellte[…] Form religiös­er Mys­tik” (dt. Übers., Frank­furt a. M. 1997, S. 421) aus­macht.

Bild von Martin Bahmann unter Creative Commons Lizenz CC BY-SA 3.0.
Das rekon­stru­ierte Heilig­tum der Isis und Mater Magna in Mainz. Die Verehrung der Isis stammt ursprünglich aus Ägypten (Mys­te­rien von Isis und Osiris), die Got­theit Mater Magna geht zumin­d­est bis auf die kleinasi­atis­che Göt­tin Kybele zurück. Die Tötung und Zer­stück­elung von Osiris durch Seth und die neue Zusam­menset­zung der Teile durch Isis wurde auch für die Freimau­r­erei im 18. Jahrhun­dert zur inter­es­san­ten Alle­gorie für ihr Sys­tem gradu­eller Ein­wei­hun­gen (ver­gle­ich­bar der ähn­lichen Hiram­sle­gende).

Text: Kris Wagen­seil