„Theorien entstehen im Gespräch.“

Work­shop mit Prof. Dr. Robert Langer (Uni­ver­sität der Bun­deswehr München) und Dr. Katha­ri­na Neef (Uni­ver­sität Leipzig)

Mit eine der „klas­sis­chen“ Diszi­plinen der Reli­gion­swis­senschaft ist die reli­gion­shis­torische Forschung; doch wie viele andere Forschungs­felder auch war sie in den let­zten Jahrzehn­ten ein­er Anzahl von Verän­derun­gen und „turns“ unter­wor­fen. Im Work­shop vom 21. April 2023 woll­ten wir einen frischen Blick auf diesen Teil­bere­ich der Reli­gion­swis­senschaft wer­fen und stell­ten uns die Frage: Wie kann und muss zeit­gemäße his­torische Forschung ausse­hen?

Bei der Suche nach ein­er Antwort unter­stützten uns dieses Mal als Gäste Dr. Katha­ri­na Neef (Uni­ver­sität Leipzig) und Prof. Dr. Robert Langer (Uni­ver­sität der Bun­deswehr München). Er kon­nte uns neben den Denkanstößen zum reli­gion­shis­torischen Arbeit­en auch einen Ein­blick in das vie­len nicht bekan­nte akademis­che Umfeld der Uni­ver­sität der Bun­deswehr geben.

Das Ver­ständ­nis der Referent:innen davon, was reli­gion­shis­torische Forschung leis­ten kann, kam bere­its in der Vorstel­lung ihres jew­eili­gen Werde­gangs zur Sprache: Bei­de beton­ten, dass es bei his­torisch­er Forschung nicht um ein Her­aus­find­en von ver­meintlichen Fak­ten gehe oder ein Nacherzählen davon, „wie es wirk­lich war“. Katha­ri­na Neef hob hier beson­ders den Begriff des Kon­tex­tu­al­isierens her­vor; his­torisches Forschen bedeute, Dinge in einen Sinnzusam­men­hang zu set­zen. Wie his­torisches Mate­r­i­al kon­tex­tu­al­isiert wird, liegt dabei im Ermessen der Forschen­den, der­selbe Inhalt kann auf ganz unter­schiedliche Weise erzählt und ein­ge­ord­net wer­den. Ver­schiede­nen The­o­rien, so Robert Langer, kommt dabei die Rolle zu, Dat­en und Sachver­halte zu ord­nen und zu klas­si­fizieren, um sie so mit­tel­bar für die eigene Analyse zu machen. The­o­riebil­dung, so die bei­den Referent:innen, beginne schon mit der Auseinan­der­set­zung mit beste­hen­den The­o­rien: Auch die The­o­ri­erezep­tion ist pro­duk­tiv, denn sie schärft den Blick auf das Daten­ma­te­r­i­al und ebnet den Weg für neue oder ergänzende the­o­retis­che Über­legun­gen.

Wie rel­e­vant reli­gion­shis­torische Forschung ist, wurde im Ver­lauf der leb­haften Diskus­sion zwis­chen Referent:innen und Teil­nehmenden deut­lich: Reli­gion­s­geschichte ist nie los­gelöst vom Hier und Jet­zt – Prozesse der Iden­titäts­bil­dung von eth­nis­chen, religiösen und/oder poli­tis­chen Grup­pen greifen häu­fig maßge­blich auf Nar­ra­tive der eige­nen Geschichte zurück. Auf der einen Seite kann und soll man als Forschende:r hier dazu beitra­gen, ein­seit­ige Erzäh­lun­gen dif­feren­ziert und umfassender zu beleucht­en und zu hin­ter­fra­gen. Auf der anderen Seite ist aber auch ein hohes Maß an Sen­si­bil­ität gefragt, da reli­gion­shis­torische Erzäh­lun­gen für die betr­e­f­fend­en Grup­pen oft eine zen­trale Rolle spie­len und die eigene Arbeit schnell in diesen Diskurs ein­be­zo­gen wer­den und unter Umstän­den poli­tisiert wer­den kann.

Generell spielte die empirische Seite der The­o­riear­beit eine wichtige Rolle in unser­er Diskus­sion: The­o­rien entste­hen nur in ein­er ständi­gen Auseinan­der­set­zung mit empirischen Dat­en, durch die ein Sachver­halt von ver­schiede­nen Seit­en beleuchtet wird. In Frau Neefs Worten ist The­o­riebil­dung das Find­en ein­er Sprache, mit der das vielfältige Daten­ma­te­r­i­al geord­net und in einen Dia­log gebracht wer­den könne. Dafür ist der Aus­tausch inner­halb der Wis­senschafts­ge­mein­schaft unverzicht­bar: „The­o­rien entste­hen im Gespräch“, so Frau Neef. Das erfordere auch die Bere­itschaft und den Mut, über den Teller­rand des eige­nen Feldes hin­auszublick­en. Hier hil­ft uns die Viel­seit­igkeit der Reli­gion­swis­senschaft, die auf the­o­retis­che Blick­winkel ver­schieden­er Felder und Fachdiszi­plinen zurück­greifen kann, aber auch im Sinne des postkolo­nialen Par­a­dig­mas eine stärkere (Selbst-)Reflexion fordert als die „klas­sis­che“ his­torische Quel­lenar­beit. Ger­ade diese Viel­seit­igkeit und das Zusam­men­führen ver­schieden­er empirisch­er Per­spek­tiv­en stellen oft eine Her­aus­forderung für die Forschen­den dar, hier den Überblick zu behal­ten. Und auch wenn wir nie „Wahrheit­en“ her­aus­find­en wer­den, kön­nen wir – so Herr Langer – ger­ade durch diese Vielfalt der Ansätze und Blick­winkel ein echt­es Kor­rek­tiv für Meis­ter­erzäh­lun­gen sein, die Per­spek­tive auf his­torische Sachver­halte erweit­ern und zum Hin­ter­fra­gen anre­gen.

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