REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Als ich seiner Zeit 2005 Praktikum bei REMID machte, wurden mir auch Publikationen aus dem REMID-Umfeld geschenkt, darunter das Buch “Satanismus — Mythos und Wirklichkeit” von Gründungsmitglied Joachim Schmidt, erschienen im vereinsnahen diagonal-Verlag zuerst 1992, damals handelte es sich um die 2. durchgesehene und aktualisierte Auflage von 2003. Jetzt ist das Buch neu im szenenahen second sight books Verlag herausgebracht worden. Anlass genug, den Autoren zu interviewen — zum real-existierenden Satanismus, zu Ängsten vor angeblichen Satanismen und zur Rolle des Themas in der Gesellschaft in den Jahren nach der Gründung REMIDs 1989.
Ich habe Ihr Satanismus-Buch in Erinnerung als so etwas wie einen Meilenstein — als lange Zeit einzige religionswissenschaftliche Arbeit über Satanismus in deutscher Sprache. Inzwischen liegen mit den Arbeiten von z.B. Dagmar Fügmann, Ina Schmied-Knittel und Melanie Möller weitere wichtigen Arbeiten zum Thema vor. Aber vielleicht fassen Sie es in Ihren eigenen Worten zusammen, was für Sie damals die Motivation war, auch im Kontext der damaligen REMID-Generation, ein seiner Zeit untypisches Buch über Satanismus zu schreiben?
Nun, ich hatte den westlichen Okkultismus als mein Spezialgebiet gewählt. Zum einen, weil dies kaum sonst jemand getan hatte. Ich wollte meine Zeit nicht mit etwas verschwenden, das andere genauso gut oder besser machten. Ich fand, dass eine gewisse Aufgabenteilung da ganz sinnvoll ist. Zum anderen, weil es mir das aufwändige Studium exotischer Quellensprachen ersparte : Mit Deutsch, Englisch und Französisch kam man da ganz gut zurecht. Etwas Latein hatte ich bereits in der Schule und ein bißchen Hebräisch — wegen Kabbalah und so — hatte man sich vergleichsweise schnell und leicht angeeignet.
Mir blieb also mehr Zeit, mich mit der eigentlichen Religionswissenschaft zu beschäftigen. Okkultismus und Satanismus war Anfang und Mitte der 1980er noch kein großes Medienthema – wenn dann ging es um hinduistisch geprägte “Jugendreligionen” wie Hare Krishna und ähnliches. Hare Krishna oder Bhagwan-Anhänger waren in dieser Zeit auch im Straßenbild der größeren Städte präsenter und auch die Sektenbeauftragten befassten sich vornehmlich mit solchen religiösen Sondergemeinschaften, oder auch mit den “Kindern Gottes” oder auch schon mit der Scientology Church.
Heute heißen sie Weltanschauungsbeauftragte. (Zum Sektenbegriff vergleiche kritisch die Beiträge zum Stichwort “Sektendebatte”).
Am Marburger Seminar für Religionsgeschichte leitete damals Dr. Rainer Flasche eine Seminarreihe, die die Veröffentlichungen der kirchlichen Sektenbeauftragten kritisch untersuchte – diese Seminarreihe hat mich durchaus geprägt – ich erkannte hier ein Feld, in dem die Religionswissenschaft sich betätigen sollte und in dem Religionswissenschaft durchaus von gesellschaftlicher Relevanz sein konnte. Dies war dann schließlich auch ein Ansatz, der zur Gründung von REMID führte. In diesem Zusammenhang kann die Arbeit des späteren Prof. Flasche nicht genug gewürdigt werden. Vor allem, da sein Ansatz zur damaligen Zeit durchaus ungewöhnlich war. Ich erinnere mich in diesem Zusammanhang an ein Seminar im Fachbereich Europäische Ethnologie, das religiöse Sondergemeinschaften zum Thema hatte.
Für ein Referat über Bhagwans Osho-Bewegung wurde ein Artikel des evangelischen Sektenbeauftragten Haack als seriöse Sekundärliteratur empfohlen. (Haack war damals DER Sektenbeauftragte). Als ich anmerkte, dass ein Artikel von Haack wohl kaum als unabhängige, wissenschaftlich seriöse Sekundärliteratur gelten könne, wurde ich von Prof. Foltin, der das Seminar leitete, rüde zurechtgewiesen: Haack sei der Sektenbeauftragte der evangelischen Landeskirche Bayerns und somit ja qualifiziert und seriös. Tja, so war die Stimmung Mitte der 80er — auch oder gerade in einem eher “linken” Fachbereich…
Wissenschaftliche Literatur oder nenneswerte Feldforschung zum Thema westlicher Okkultismus gab es damals kaum. Die erste wirklich nennesnwerte Arbeit hat in diesem Zusammenhang erst viel später Dagmar Fügmann geleistet. So suchte ich bereits während meines Studiums den Kontakt zu entsprechenden Vereinigungen und wurde in einigen Mitglied. Teils aus wissenschaftlichem Interesse, teils aus persönlicher Erkenntnissuche. Auch dies war damals bei Studenten/Innen der Religionswissenschaft nicht so unüblich. Nur dass sich damals hinduistisch oder buddhistisch geprägte Vereinigungen größerer Beliebtheit erfreuten. Diese Tendenz war zu meiner Studienzeit zugegebenermaßen bereits im Abnehmen begriffen, es waren eher ältere Semester, für die das noch dazugehörte. Die Religionswissenschaft wurde eben langsam erwachsen…
Ich erinnere mich auch noch an die Schilderungen des 2010 verstorbenen Prof. Rainer Flasche, dass in den 1980ern Sympathisanten der Transzendentalen Meditation vor den ersten Stuhlreihen im Schneidersitz saßen.
Mein persönliches Erkenntnisstreben wurde eher nicht befriedigt, für meine kurze Zeit des wissenschaftlichen Arbeitens hat es mir aber einiges gebracht. Vor allem viele Kontakte, was auch viel Material bedeutete. Das war in einer Zeit, in der vieles in diesem Bereich noch nicht veröffentlicht wurde, von besonderem Wert. Über die Probleme die dies bezüglich meiner Objektivität mit sich bringen könnte, war ich mir durchaus bewusst. Und auch, dass sich diese Problem nicht so einfach mit dem Hinweis, dass Objektivität generell unmöglich sei, beiseiteschieben ließ. Als eher behelfsmäßige Lösung dieses Problems verzichtete ich darauf, über jene okkulten Strömungen zu schreiben, die mir persönlich am nächsten standen und denen ich mich am ehesten zugehörig fühlte. Obschon ich mich nie mit irgendeiner Strömung vollständig identifiziert habe. Aber sicher ist sicher.
Es ist schon merkwürdig, dass ich hier noch immer einen gewissen Rechtfertigungsdruck verspüre. Zu meiner Studentenzeit gehörten die meisten Religionswissenschaftsprofessoren einer christlichen Kirche an und ich erinnere mich nicht daran, dass diese unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck standen. Aber manche Dingen ändern sich eben nur langsam. Erst als ich mein Studium bereits beendet hatte, wurde Okkultismus und auch Satanismus ab den späten 1980er Jahren zu einem Thema für die Sektenbeauftragten und auch für die Medien. Die Art, auf die dies behandelt wurde, unterschied sich nicht wesentlich von der Art, auf die dies bisher geschehen war.
Jene Sondergemeinschaften, die sich bis dahin im Fokus des Interesses befunden hatten, waren etwas aus den Fußgängerzonen und somit auch aus dem öffentlichen Interesse verschwunden. Dennoch war ich verwundert, denn die okkultistischen Vereinigungen waren ja im öffentlichen Raum keineswegs präsenter geworden. Auch die Mitgliederzahlen der entsprechenden Vereinigungen stagnierten und waren nach wie vor gering. Viel geringer als die einstmaligen Mitgliederzahlen etwa von Hare Krishna, Osho oder Scientology.
Das alles hatte etwas Irrationales an sich, es war ein Hype, der mit der tatsächlichen Bedeutung ´von okkultistischen und satanistischen Bewegungen nichts zu tun hatte. Es wurde kolportiert, dass nun plötzlich massenweise Schüler Gläser rücken würden, aber ich kannte keinen der solches tat. Da es zuvor niemals empirische Untersuchungen zu diesem Thema gegeben hatte, konnte man auch nicht seriös von einer Zunahme solcher Aktivitäten sprechen. Und die tatsächlichen Gefahren schienen gering zu sein — wenn man die tatsächlich nachgewiesenen Verbrechen oder psychischen Schäden als Grundlage nahm.
Ich habe mal zusammen mit Dr. Marion Näser-Lather ein Seminar zur Gothic Subkultur gemacht, wo wir uns diese ältere Sorgenliteratur anschauten, die eine okkulte Jugendkultur aufkommen sah (vgl. Kurzinformation Religion: Gothic Subkultur und Seminarbericht 2009, PDF).
Ich denke es war für manche Journalisten eine billige Art, als “kritisch” zu gelten und auf unterschätzte Gefahren hinzuweisen, ohne das Risiko einzugehen, auf nennenswerten Widerstand zu stoßen und ihre Arbeit kritischen Fragen ausgesetzt zu sehen. Die Religionswissenschaft verharrte in einem Elfenbeinturm und auch jenen Religionswissenschaftlern, die sich hier zu Wort meldeten, schenkte man kaum Gehör. Es gab ja auch zuvor schon sehr kompetente Religionswissenschaftler, die sich z.B. mit Hinduismus beschäftigen und sich nicht bemüßigt fühlten, etwa ein klärendes Wort zur Hare-Krishna-Bewegung zu sprechen. Auch dies schien für die Gründung einer Organisation wie REMID zu sprechen.
Nun, jedenfalls war mein Interesse geweckt und ich las alles über Satanismus, was ich bis dahin noch nicht gelesen hatte. Und erstaunt musste ich feststellen, dass ich da keineswegs etwas übersehen hatte, sondern dass sich die Relgionswissenschaft bisher tatsächlich noch nicht intensiv mit diesem Thema beschäftigt hatte. Andererseits war es auch nicht so verwunderlich, denn die Religionswissenschaft war eine junge Disziplin und die Zahl der Relgionswissenschaftler, die jemals aktiv waren, war ebenso vergleichsweise gering. Und Satanismus ist zweifellos ein Nischenthema — und Nischen gab es damals noch viele.
So beschloss ich, mich dieses Themas anzunehmen und den Satanismus als neues Forschungsgebiet in die Religionswissenschaft einzuführen. Denn ich wusste, wenn ich es nicht machen würde, dann macht es so schnell auch niemand anderes. Ich sah die Religionswissenschaft bereits nicht mehr als Berufsperspektive und dieses Buch sollte gewissermaßen eine Art Rechtfertigung darstellen, so viele Jahre meines Lebens damit zugebracht zu haben. Es waren wirklich einige Jahre, denn damals gab es noch kein Bachelor- und Masterstudium, man konnte einfach studieren, solange man Lust hatte und dies irgendwie finanzieren konnte. Ich spürte, dass meine wachsende Vorliebe für teure französische Rotweine, die irgendwie finanziert werden mussten, mich früher oder später in die IT-Branche treiben würde, und so wollte ich vorher noch einen Beitrag leisten.
Link zum Wikipedia-Artikel “Stele des Anchefenchons”.
Nachdem ich alles gelesen hatte, was es zu lesen gab — das war nicht allzuviel — und über meine Kontakte auch eine Menge unveröffentlichtes Material erhalten hatte, machte ich mich also an die Arbeit. Was dabei herauskam war ziemlich einseitig phänomenologisch geprägt, doch es sollte ja kein abschließendes Statement sein, vielmehr war es das Ziel, das Thema erst einmal als Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung einzuführen. Da schien es mir sinnvoll, erst mal den phänomenologischen Teil abzuhandeln und zu einer vorläufigen Begriffsbestimmung zu kommen. Mehr als vorläufig sollte es nicht sein. Darüber Hinausgehendes sollten andere erledigen — und das ist ja dann auch, mit einer gewissen Verzögerung, geschehen.
Auch war das Buch darauf angelegt, zwar wissenschaftlichen Maßstäben halbwegs zu genügen, gleichzeitig aber auch breitere Leserschichten anzusprechen. Also bemühte ich mich um einen auch für Laien gut lesbaren Stil. Dabei ging vielleicht etwas an Seriösität verloren, aber das nahm ich gerne in Kauf. Die erste Auflage erschien 1992. Um diese Zeit war der Medienhype um dieses Thema auf dem Höhepunkt und dies bescherte mir viele interessante, wenn auch nicht immer angenehme Erfahrungen.
Es lagen Artikel für Zeitschriften, Interviews und Mitarbeit an Talkshows an. Mein damals bereits inhärenter Zynismus wurde dadurch nicht zurückgedrängt, doch ich lernte und bin immer noch der Ansicht, dass ein/e Religionswissenschaftler/In auch ruhig mal an die Medienfront gehen sollte, dorthin, wo es schmutzig ist — denn letztlich prägen die Medien die Gesellschaft, in der wir leben müssen und da sollte man durchaus auch mitspielen wollen. Zumindest eine Zeitlang. Natürlich war ich auch neugierig auf die Reaktionen von satanistischer Seite her, hatte ich doch Material veröffentlicht, das damals noch nicht zur allgemeinen Veröffentlichung bestimmte war. Mittlerweile ist das alles veröffentlicht, auch in dieser Hinsicht haben sich die Zeiten geändert.
Die Reaktionen waren durchweg positiv — was ich nicht unbedingt erwartet hatte. Es schien eine Erleichterung vorzuherrschen, dass da endlich jemand war, der versuchte den Satanismus korekt darzustellen. Auch wenn nicht alle mit allem einverstanden waren, wurde dieses Bemühen respektiert. Also nichts, dessen sich ein Religionswissenschaftler zu schämen hätte.
Ich wurde eingeladen, Mitglied des Temple of Set zu werden — was ich ausschlug. Ich wurde eingeladen Gründungsmitglied des ersten Trägervereins der Church of Satan in Deutschland zu werden — was ich annahm, denn dies versprach spannend zu werden. Das wurde es auch — obwohl dieser Versuch nach kurzer Zeit scheiterte. Die Erfahrungen, die ich in diesen Jahren sammeln konnte, flossen in die zweite und dritten Auflage des Buches ein.
Nun, der Hype legte sich, 9/11 verdrängte den Satanismus aus dem öffentliche Interesse, was an sich auch angemessen war. Der Satanismus ist zum Gegenstand relgionswissenschaftlicher Forschung geworden, insofern hat das Buch sein Ziel erreicht. Ich denke nicht, dass ich mich in Zukunft noch einmal intensiv mit dem Thema beschäftigen werde, dieses Kapitel dürfte nun für mich geschlossen sein.
Das Buch hat inzwischen mehrere Auflagen erfahren. Aktuell ist es neu im second sight books Verlag verlegt worden. Welche Ergänzungen und Veränderungen waren nötig geworden? Wie hat sich in Ihrer Perspektive das Feld — Satanismus im engen Sinne — inzwischen verändert?
Große Veränderungen habe ich nicht vorgenommen. Das Internet verändert auch diese Szene und mit Buchveröffentlichungen kann man mit diesen Veränderungen kaum schritthalten. Angebrachter wäre vielleich ein Webblog, der dann auch irgendwann in einem neuen Buch münden könnte. Es wurden z.B. ein paar Texte, die mir damals nur in holprigen Übersetzungen vorlagen, durch das nun öffentlich zugänglichen Original ersetzt. Bei anderen Texten, bei denen heute eine gute Übersetzung vorliegt, wurde diese verwendet. Und natürlich gibt es ein neues Vorwort — genaugenommen das erste Vorwort überhaupt. Auch dieses ist recht knapp gehalten. Die Kerngehalt des Buches ist aber meiner Ansicht nach, noch immer relevant.
Wer bereits die zweite oder dritten Auflage besitzt, für den ist diese Neuauflage nicht so interessant — abgesehen vielleicht für Bibliophile, die eine deutlich hochwertigere Gestaltung zu schätzen wissen. Wer dieses Buch noch gar nicht oder nur die erste Auflage besitzt, für könnte das Ganze schon wesentlich interessanter sein. Generell ist heute eine unaufgeregtere Rezeption des Themas möglich. Hochgepuschte Aufreger wie satanistischer Kindesmissbrauch usw. haben heute nicht mehr diese Wirkung. Nach all den Veröffentlichungen über realen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche schlägt der imaginierte satanistische Missbrauch nicht mehr so hohe Wellen.
In Deutschland haben sich neue satanistische Berwegungen, wie z.B. der Current of Set etabliert, die sich aber im Rahmen dessen bewegen, was bereits am Anfang der 2000er abzusehen war. Der Satanismus hat sich also in seinen Nischen etabliert, hat sich weiter von seinen christlichen Wurzeln entfernt und ist immer noch recht speziell und unbedeutend. Den projezierten Satanismus gibt es immer noch und dank der neuen Möglichkeiten des Internets ist hier vieles, was zuvor nur in kleinsten Zirkeln kursierte, nun öffentlich geworden.
Die 1990er waren für die westlichen Länder eine kurze Phase ohne dominante Feindbilder und nur in dieser Saure-Gurken-Zeit konnte die angebliche Bedrohung durch den Satanismus aufgebauscht werden. Seit 9/11 ist der radikale Islamismus ein viel machtvolleres und konkreteres Feindbild.
Ein im Grunde eigenes Feld betrifft die Angst vor angeblichem Satanismus (man vgl. Des Teufels Netz – Italien und interreligöse Toleranz, 2011). Wie hat sich Ihrer Ansicht nach dieser Diskurs in den letzten Jahren verändert? Wie lässt sich die Politisierung dieses Feldes beurteilen — man denke an die Verschwörungsmythen um “Pizzagate” und die amerikanische liberale Partei, welche auch in deutschsprachigen esoterischen Milieus verbreitet werden (Lokalbeispiel Marburg, sogenannte “Schenkerbewegung”)?
Nun, neu ist es im Grunde genommen nicht. Nur dass es in sehr frühen Zeiten apologetische Propaganda war, dann kam der “urbane Mythos” und heute spricht man von Memen. Den Gnostikern und Juden warf man rituellen Kindermord und rituelle Kinderopfer vor. Diese wurden meist noch nicht als Satanisten bezeichnet, sondern nur als (z.T. unwissentliche) Diener Satans. Auch das Freimaurertum sah sich immer wieder mit Satanismus-Vorwürfen konfrontiert — auch hier bereits ein projezierter Satanismus, der auf eine “Elite” abzielte. In den 1980er und 90er Jahren wurde dieser Vorwurf oft Satanisten gemacht, um den Vorwurf des rituellen Kindesmissbrauchs erweitert. In dem Maße, wie die gesellschaftliche Sensibilität dem Kindesmissbrauch gegenüber zunahm, wurde der Schwerpunkt mehr und mehr auf den Missbrauch verlagert — ohne dass der Tötungsvorwurf gänzlich verschwunden wäre. Schon in den 80er und 90er Jahren wurde immer wieder postuliert, dass auch sehr einflußreiche und mächtige Personen in diese satanische Aktivitäten involviert seien. Dies war schon deshalb unumgänglich, da sich ansonsten das Fehlen jeglicher Beweise schwerlich begründen ließ.
Das Ganze hat sich nun mehr in Richtung der “Eliten” verlagert — d.h. es sind nicht nur mächtige und einflussreiche Personen, die schützend ihre Hand über solches halten — es wird vielmehr bisweilen so dargestellt, als ob es sich um eine ausschließliche Angelegenheit der “Eliten” handeln würde. Es ist eine Verquickung von Verschwörungstheorien mit politischer Agitation — ich weiß nicht, ob dieses Phänomen so neu ist — die Inhalte, die hier transportiert werden, sind jedoch zeitspezifisch. In den 1950er und 60er Jahren konnte man einen Politiker oder Prominenten politisch oder gesellschaftlich erledigen, wenn man ihn als Teil einer kommunistischen Verschwörung outete — oder auch als Homosexuellen. Heute ist der Pädophilie-Vorwurf geeignet, diesen Zweck zu erfüllen. Das Prinzip ist im Grunde das gleiche — nur dass sich Meme in Zeiten des Internets eben wesentlich schneller verbreiten. Neu ist sicher, dass ein Satanismus-/Pädophilie-Vorwurf gegen Politiker und die Finanzelite erhoben wird. In einer recht unspezifischen Art und Weise. “Die Protokolle der Weisen von Zion” richtete sich noch explizit gegen eine “jüdische Weltverschwörung”. In den aktuellen Verschwörungstheorien ist das “Finanzjudentum” zwar immer noch eingeschlossen, aber eben nicht mehr exklusiv. Der Unterschied ist zweifellos die schnelle und unbeschränkte Verbreitung über das Internet. In den 1980er und 90er Jahren musste man noch Bücher und Zeitschriftenartikel schreiben und Redakteure des öffentlich-rechtlichen Fernsehen dafür gewinnen, schlecht recherchierte Horrorgeschichten, die ohne jeglichen harten Beweis auskamen, als “Dokumentation” zu senden. Bücher wurden geschrieben, ´Zeitschriftenartikel wurden veröffentlicht und Dokumentationen gesendet. Doch dies brauchte Zeit und nur relativ wenige konnten sich hier durchsetzen, wie Dianne Core oder die Grandt-Brüder. Es gab auch damals schon alle möglichen sonstigen Wirrköpfe, doch diesen war es oft unmöglich ein größeres Forum zu finden. Heute kann jeder einen YouTube-Kanal oder ein Webblog betreiben. Nicht dass ich hier einer Zensur das Wort reden würde — trotz all des offensichtlich unsinnigen und gefährlichen Mülls der sich dort findet, trete ich dafür ein, dass die Leute dies machen dürfen. Denn Zensur kann nie ein Ersatz für Aufklärung sein. Zensur macht alles nur schlimmer.
Und letztlich muss man natürlich auch sehen, dass manche der sogenannten “Verschwörungstheorien” sich letztendlich bewahrheitet haben. Aber — auch das muss gesagt sein — was satanistische Verschwörungen anbelangt, so haben sich diese bislang nie bewahrheitet. Und ich habe den Eindruck, dass die Angst vor dem Satanismus heute trotz allem geringer ist. Es fällt auf, dass der Satanismus-Vorwurf heute in vielen dieser Theorien — Pizzagate, Elitenrituale usw. — eher beiläufig angefügt wird — als wollte man dem Ganzen noch ein Sahnehäubchen aufsetzen. Im Kern geht es aber — anders als in den 1980er und 90er Jahren — um etwas anderes. Der Unterschied ist auch, dass der Satanismus ebenso anders als in den 1980ern und 90ern von den Mainstream-Medien nicht mehr in dem Maße als Gefahr dargestellt wird. Es sind andere Frontlinien — und andere Player, die sich der diffusen Satanismus-Angst bedienen.Im Grunde können die echten Satanisten diesen Verschwörungstheoretikern dankbar sein — denn diese halten sie außerhalb der Schusslinie.
In den 1980er und 90er Jahren waren es kirchliche Sektenbeauftragte, einzelne Journalisten und wenige Aktionsbündnisse, denen es gelang ihre meist sehr unwissenschaftliche und unkorrekte Sicht der Dinge bei den Mainstreammedien durchzusetzen. Diese waren dankbar, denn so viele Feindbilder hatten sie damals nicht mehr. Heute sind es meist mehr oder weniger verworrene, spirituell inspirierte Einzelpersonen und Gruppen, die solches verbreiten und es kaum je in Plattformen außerhalb ihrer YouTube-Känale und Webblogs schaffen. Oder eben politische Agitatoren, für die der Satanismus nur Beiwerk ist. In den Zeiten von IS und Putin ist Satanismus für die meisten Mainstream-Medien kein Thema mehr. Und für Journalisten, die auf billige und anspruchslose Art als “kritisch” gelten wollen, ist es heute opportuner vor Putin zu warnen.
Wobei ich schon glaube, dass die russische mediale Unterstützung von rechtspolitischen und verschwörungstheoretischen Positionen in westeuropäischen Ländern durch Formate wie Russia Today in der jeweiligen Landessprache sowie finanzielle Spenden an entsprechende Parteien und Medien Teil einer Strategie Putins sind. Jedenfalls erscheint mir das eine andere Größenordnung zu sein, als die PR-Tätigkeit derjenigen Zweigstellen liberaler Thinktanks, die neben Greenpeace, Amnesty International und den Goethe-Instituten in Russland heute als „ausländische Agenten“ eingestuft werden. Um zurück zum Satanismus zu kommen, glauben Sie das Image des Satanismus in der Öffentlichkeit hat sich verändert?
Dies ist nun nur eine Spekulation, aber wenn man heute eine repräsentative Umfrage machen würde, ob der Satanismus eine Gefahr darstellt, würden deutlich weniger Leute mit “Ja” antworten als in den 1990ern. Ich würde gerne glauben, dass dies ein Verdienst der guten und gehaltvollen religionwissenschaftlichen Arbeiten der letzten 20 Jahre sei — aber dies ist wohl leider nicht der Fall. Ich möchte mich auch gerne zu der Frage äußern, wieso ich solchen Theorien keinen rechten Glauben schenke — an sich bin ich ja Verschwörungstheorien gegenüber erstmal relativ aufgeschlossen. Man muss diese — wie jede andere Theorie auch — erstmal widerlegen.
Ein Kronzeuge für satanistischen rituellen Kindesmissbrauch, der aktuell auf den entsprechenden Websites recht präsent ist, ist Ronald Bernard. Da gilt wie jeher das Prinzip: einer schreibt vom anderen ab bzw. bezieht sich auf den anderen. Horst Knaut war in den 1970er, 80er und 90er Jahren eine der “Urquellen”, auf den sich viele bezogen und seine Irrtümer und Fehlschlüsse und haltosen Behauptungen wurden von vielen kritiklos übernommen — heute geht das natürlich alles viel schneller. Doch zu Ronald Bernards: Er beschreibt sich selbst als einen Börsen- und Finanzexperten, der durch seine Kompetenz und — heute natürlich zutiefst bereute — Skrupellosigkeit Zugang zu den höchsten Kreisen der Finanzelite erlangt und deren schmutzige Geschäfte betrieben habe. Es ist anzumerken, dass sein Wirken als Finanz- und Börsenspezialist nirgendwo nachweisbar ist. Er selbst erklärt dies mit der diskreten Art seiner Tätigkeit und schiebt gleich nach, dass sich nirgendwo Involvierte finden würden, die bereit wären, darüber zu sprechen.
Irgendwann erkannte er, eher so nebenbei, dass diese Elite zum größten Teil Luzifer huldigt (was auffällt ist dieser etwas antiquierte Namen — Satan oder Set ja, aber Luzifer hat man schon lange nicht mehr gehört) und sich dem rituellen Kindesmissbrauch und Kindesmord hingibt. Teils aus Neigung, teils auch, weil alle Akteure, die auf diesem Niveau spielen, dies zu praktizieren haben, um erpressbar und kontrollierbar zu sein. Das konnte er dann nicht tun, da meldete sich sein lange schlafendes Gewissen, das ihn — so man ihm Glauben schenkt — nicht daran gehindert hatte, zahllose Menschen ins Elend zu stürzen. Aber laut seiner Aussage, ist dies wohl eine Art Initiation, die jeder, der für die Elite der 8.000 bis 8.500 reichsten Menschen arbeiten will, zu durchlaufen habe.
Nun zu dem, was mich stutzig gemacht hat: Er sagt er sei ausgestiegen, obwohl ein Austeigen auf dieser Ebene an sich nicht mehr hingenommen wird, d.h. er hat jetzt echte Probleme. Aber da es nun einmal so ist und er nicht anders kann, wird er jetzt öffentlich auspacken. Konsequent und kompromisslos. Und was kommt dann? Er erzählt von der BIZ, dem IWF und der Weltbank. Die Geschäfte machen, von denen nur die Eliten profitieren. Man gibt Staaten Kredite, von denen man weiss, dass sie diese niemals werden zurückzahlen können, um so deren Politik zu kontrollieren. Und einiges mehr auf diesem Niveau. Sicher irgendwie richtig. Aber das wusste ich bereits vorher — und ich bin nichts weiter als ein interressierter Laie, ohne jeden Zugang zu den innereren Zirkeln der Macht. Alles, was er über die Geschäfte der Eliten sagte, hätte ich genauso ohne Vorbereitung, ohne intensive Recherche auch sagen können. Und das soll das vorbehaltlose Auspacken eines absoluten Insiders sein, der in satanischen Ritualen Kinder missbrauchen oder töten sollte, um ganz nach oben aufzusteigen?
Nun, wenn er irgendwelche echten Insider-Informationen preisgegeben hätte, die hätten belegen können, dass er wirklich nahe dem Zentrum der “Macht” war, dann würde ich seinen sehr vagen und unbestimmten Aussagen über satanischen rituellen Kindesmissbrauch in diesen Kreisen vielleicht mehr Aufmerksamkeit schenken. Aber tut mir leid, das reicht mir einfach nicht. Und das erhöht die Glaubwürdigkeit all jener, die gleiches behaupten und sich z.T. auf ihn beziehen, in meinen Augen auch nicht.
Aber widerlegen kann ich es natürlich nicht, denn mir fehlt der Zugang zu absoluten Elite. Und allen Satanisten die ich kenne, fehlt dieser Zugang ebenso. Und doch sagen vielleicht manche “Ja, das kann ich mir vorstellen, dass die so drauf sind.” Woher kommt die Bereitschaft so etwas ohne echten Beweis zu glauben? Nun, vielleicht daher, dass es dem “gesunden Menschenverstand” schwerfällt, die “Banalität de Bösen” zu akzeptieren. Hannah Arendt vermutete zuerst, dass Adolf Eichmann ein Monster sein müsse, doch dann erkannte sie in ihm einen sehr banalen, ziemlich langweiligen Menschen, der eben nur etwas unfassbar Abscheuliches getan hatte. Man ist geneigt zu vermuten, dass ein solcher Mensch nicht so sein kann wie jeder andere Mensch, dass er in jeder Hinsicht etwas Außergewöhnlches, etwas außergewöhnlich Böses und Verworfenes sein muss. Aber das ist nicht so — er war ein langweiliger und banaler Mensch — nur dass er er etwas unfassbar Böses getan hatte. Dies zu glauben fällt schwer — doch es ist eben so.
Das ist es, was manche glauben lässt, dass es die Reptiloiden sind, die die Welt lenken. Der Reptiloide ist im Grunde die konsequente Steigerung des Satanisten — der immerhin noch ein Mensch ist. Jemand der so schreckliche Dinge tut, kann kein normaler Mensch sein — er muss ein Reptiloid sein oder zumindest ein Satanist.
Danke für das Interview.
Das Interview führte Kris Wagenseil.
Die Thelema-Bewegung, die sich auf Aleister Crowley beruft, ist teilweise satanistisch. Man darf aber nicht die gesamte heidnische Bewegung als satanistisch bezeichnen. Im Übrigen gibt es in Gestalt der Pfingstbewegung eine Annäherung des Christentums ans Heidentum. Mehr dazu auf meiner Internetseite.
Sehr geehrter Öko-Theosoph,
danke für Ihr Interesse. Niemand hat hier die “gesamte heidnische Bewegung” als satanistisch bezeichnet. Zur Pfingstbewegung vergleiche Ambivalentes Verhältnis zur Moderne: Was ist eigentlich die Pfingstbewegung und warum ist sie global so erfolgreich?.
Man vergleiche auch den Beitrag In Indien rauchen sie Echsen – Unterwegs mit den Satanisten von Aligarh von Zeyad Masroor Khan (16. Juni 2018, vice.com).