In der Reli­gion­swis­senschaft wird der Begriff der “Besessen­heit” oft im Zusam­men­hang mit Phänome­nen betra­chtet, in denen eine Per­son oder ein Indi­vidu­um ver­meintlich von außer­men­schlichen oder tran­szen­den­ten Kräften bee­in­flusst oder kon­trol­liert wird. Der Glaube an Besessen­heit ist in vie­len Kul­turen und Reli­gio­nen auf der ganzen Welt ver­bre­it­et. Es ist eine Vorstel­lung, die davon aus­ge­ht, dass eine Per­son von ein­er frem­den, nicht-men­schlichen Entität oder einem Geist “besessen” ist, was zu Verän­derun­gen im Ver­hal­ten, der Per­sön­lichkeit oder der Gesund­heit führen kann.

Es ist wichtig anzumerken, dass die Inter­pre­ta­tion von Besessen­heit­sphänome­nen stark von kul­turellen, religiösen und sozi­ol­o­gis­chen Kon­tex­ten abhängt. Das Ver­ständ­nis von Besessen­heit kann je nach Glaubenssys­tem, Tra­di­tion oder kul­turellem Hin­ter­grund stark vari­ieren.

Abwertung durch christlicher Perspektive

Die Dia­bolisierung von anderen Reli­gio­nen aus ins­beson­dere christlich­er Per­spek­tive führte dazu, dass bei der früneuzeitlichen Expan­sion Europas mit diesem Begriff auch zahlre­iche Trance- und Ekstase-Phänomene ander­er Reli­gio­nen beze­ich­net wor­den waren. Tat­säch­lich unter­schei­den sich sowohl die psy­chis­chen Merk­male als auch die sym­bol­is­che Ein­bet­tung z.B. in ein Men­sch-Geist- bzw. Men­sch-Gott-Ver­hält­nis je nach religiös­er Prax­is. Allerd­ings tendiert bei let­zterem ein monothe­is­tis­ch­er Dual­is­mus zu Aus­trei­bung­sprax­en, während anson­sten auch Befriedung und Dien­st­bar­ma­chung eine mögliche Option darstellen. Wenn man nicht eine intol­er­ante Innen­per­spek­tive ein­er stark exk­lu­sivis­tis­chen Reli­giosität wider­spiegeln möchte, sollte man nicht fremde Sym­bol­sys­teme mit Begrif­f­en wie “Besessen­heit” im eige­nen Sinne umdeuten.

Text: Kris Wagen­seil, Aktu­al­isierung Mona Stumpe (2023)