Kurzinformation Religion: Esoterik

Begriff

Abgeleit­et vom griechis­chen Begriff “eso­terikos” (ἐσωτερικός = inner­lich) beze­ich­net “Eso­terik” im Wortsinn das “geheime” oder “ver­bor­gene” Wis­sen, das nur einem Kreis von Eingewei­ht­en zugänglich ist. Heutzu­tage geht es im Bere­ich der mod­er­nen west­lichen Eso­terik allerd­ings weniger um die Weit­er­gabe von Geheimwis­sen. Die Aura des Geheimen wird weit­er­hin aufrecht erhal­ten, sie bezieht sich aber nicht mehr auf die (Un-)Verfügbarkeit eso­ter­ischen Wis­sens, son­dern auf das Erken­nen ein­er ver­bor­ge­nen Wahrheit, um so die Men­schheit auf eine höhere Bewusst­sein­sebene zu führen.
Beim Umgang mit dem Eso­terik-Begriff muss an allererster Stelle betont wer­den, dass der Begriff je nach Ver­wen­dungskon­text sehr unter­schiedlich gew­ertet und inhaltlich aufge­füllt wird und es somit keine all­ge­me­ingültige Def­i­n­i­tion gibt.
Im All­t­ags­ge­brauch wird er – ähn­lich wie der Sek­ten-Begriff – oft abw­er­tend ver­wen­det. Auch als Selb­st­beze­ich­nung wird er immer weniger gebraucht, so dass sich heute ver­gle­ich­sweise wenige Men­schen aus­drück­lich als “Esoteriker*innen” beze­ich­nen. Im Begriffs­feld kur­sieren auch Aus­drücke wie “New Age” oder “Okkul­tismus”, die eben­so schw­er zu fassen und abzu­gren­zen sind. Zur Beschrei­bung der eige­nen religiösen oder spir­ituellen Veror­tung wird auf Nach­frage (beispiel­sweise auf Eso­terik-Messen) häu­fig eine präzise Tätigkeits­beschrei­bung benutzt, wie etwa “Astrolog*in”, “Heiler*in” oder “Craniosakraltherapeut*in”. Eben­so wird oft auf den Begriff “Spir­i­tu­al­ität” zurück­ge­grif­f­en. Dieser ist nicht syn­onym zu Eso­terik, son­dern find­et sich in diversen religiösen Kon­tex­ten wieder und avancierte zudem in jüng­ster Zeit zu ein­er Art Mode­be­griff, um die eigene Reli­giosität zu kennze­ich­nen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es darum geht, sich von den Tra­di­tio­nen der insti­tu­tion­al­isierten Großkirchen abzu­gren­zen, ein indi­vidu­elles Ver­ständ­nis von Reli­giosität zum Aus­druck zu brin­gen und zu verdeut­lichen, dass die eigene religiöse Prax­is vom all­ge­meinen Reli­gionsver­ständ­nis abwe­icht. Diese Kom­po­nen­ten find­en sich auch im Kon­text eso­ter­isch­er Weltan­schau­un­gen wieder, die beson­ders die indi­vidu­elle Erfahrungsebene beto­nen. Da es keine ein­heitliche, geschweige denn ‚dog­ma­tis­che‘ Lehre gibt, ver­weist Eso­terik eher als Sam­mel­be­griff auf bes­timmte Prak­tiken, Men­schen- und Welt­bilder.

Verbreitung

Da es wed­er eine feste Lehre noch fest umris­sene Grup­pen oder Bewe­gun­gen gibt, lassen sich keine Zahlen dazu ermit­teln, wie viele Per­so­n­en dem Feld der Eso­terik zuzurech­nen sind, an eso­ter­ischen Prak­tiken teil­nehmen, sich selb­st als “Esoteriker*innen” beze­ich­nen oder eso­ter­isches Gedankengut rezip­ieren. Die meis­ten Akteur*innen sind indi­vidu­ell oder in losen Net­zw­erken tätig. Auch auf das Selb­stver­ständ­nis der/des Esoteriker*in/Spirituellen kann man nicht zurück­greifen, weil es keinen Kon­sens darüber gibt, was “eso­ter­isch” ist. Sich­er ist aber, dass eso­ter­isches Gedankengut dur­chaus gesamt­ge­sellschaftlich präsent ist, was sich nicht zulet­zt daran zeigt, dass eso­ter­ische Ver­lagspro­gramme nicht nur in speziellen “Eso­terik­lä­den” ver­trieben wer­den, son­dern auch zum Stan­dard­pro­gramm der meis­ten Buch­hand­lun­gen gehören. Weit­er­hin find­en deutsch­landweit regelmäßig Eso­terik-Messen, spir­ituelle Seminar/Fortbildungen und Woch­enend­kurse statt, die ein bre­ites Pub­likum anziehen.

Historische Entwicklung

Was sich heute im eso­ter­ischen Feld abspielt, ist keine Erfind­ung der Neuzeit, son­dern eben­so his­torisch gewach­sen wie andere religiöse und kul­turelle Strö­mungen auch. His­torische Abhand­lun­gen über die Eso­terik begin­nen oft in der griechisch-römis­chen Antike (z. B. bei den Pythagoreern und Orphik­ern), um dann über die Her­metik mit ihrer zen­tralen Idee der Entsprechung von Mikro- und Makrokos­mos zur Gno­sis voranzuschre­it­en, die mit ihrem Schw­er­punkt auf (Selbst-)Erkenntnis für die weit­ere Geschichte eso­ter­isch­er Ideen zen­tral ist. Unter anderem über die Kab­bala, die mys­tis­che Tra­di­tion des Juden­tums, fand das Eso­ter­ische seinen Weg ins Mit­te­lal­ter. Mit der Renais­sance weit­ete sich das eso­ter­ische Feld aus: Neben der Alchemie prägten auch die Geheimge­sellschaften dieser Zeit (z. B. Freimau­r­er und Rosenkreuzer) mit ihrer Beto­nung von Ini­ti­a­tion (Ein­wei­hung) und Geheimwis­sen die Eso­terik der Frühen Neuzeit. Als Geburtsstunde der neuzeitlichen, west­lichen Eso­terik wird oft die Grün­dung der Theosophis­chen Gesellschaft durch Hele­na P. Blavatsky 1875 betra­chtet, die sich auf das hin­ter allen Reli­gio­nen – östlichen wie west­lichen – ver­bor­gene, gemein­same Wis­sen bezieht. Ger­ade für die Konzep­tion eso­ter­ischholis­tis­ch­er Welt­bilder ist ein Rück­bezug auf östliche Reli­gio­nen und Denkmuster beliebt. Ein weit­er­er, wichtiger Entwick­lungss­chritt auf dem Weg hin zur gegen­wär­ti­gen Eso­terik war die 68er-Bewe­gung (Bruch mit überkomme­nen Tra­di­tio­nen, Anti-Kriegs­be­we­gung, Auf­nahme und Weit­er­en­twick­lung der New-Age-Idee). Seit Ende des 20. Jahrhun­derts führt die Pop­u­lar­isierung sowohl eso­ter­ischen Gedankenguts als auch eso­ter­isch­er Prak­tiken zu gesamt­ge­sellschaftlich­er Präsenz des Eso­ter­ischen in ein­er plu­ralen Reli­gion­s­land­schaft.

Grundelemente

Es gibt zwar keine kohärente und ein­heitliche “eso­ter­ische Lehre”, auch keinen all­ge­mein akzep­tierten Schriftko­r­pus, den­noch lassen sich bes­timmte zen­trale Charak­ter­is­ti­ka her­ausstellen, die in Bezug auf ein eso­ter­isches Men­schen- und Welt­bild immer wieder auf­tauchen. Nicht ein­mal diese gel­ten jedoch als unwider­sprochen, sodass eine Vielzahl indi­vidu­eller, auch gegen­teiliger Konzepte kur­siert.
Ins­ge­samt wird von einem holis­tis­chen (ganzheitlichen) Welt­bild aus­ge­gan­gen, in dem Welt, Kos­mos und Men­sch in wech­sel­seit­i­gen Beziehun­gen ste­hen und let­ztlich eine untrennbare Ein­heit bilden. Alles befind­et sich hier­bei in einem Zus­tand ständi­ger Evo­lu­tion und Trans­for­ma­tion, wobei der Men­sch sowohl die Fähigkeit als auch die Auf­gabe hat, sich fortzuen­twick­eln, um einen “höheren Zus­tand” zu erre­ichen. Dieser zeich­net sich dadurch aus, dass Bewusst­sein und Wahrnehmung sich verän­dern, der Men­sch sen­si­tiv­er auf seine Umwelt reagiert und so beispiel­sweise Dinge wahrnehmen kann, die gemein­hin als “über­natür­lich” eingestuft wer­den (z.B. die Kom­mu­nika­tion mit Engeln und anderen Wesen­heit­en, das Sehen ein­er men­schlichen Aura oder das Erken­nen ver­gan­gener Leben­szyklen). Grundle­gend ist die Ken­nt­nis darüber, dass jeglich­es Sein auf grob­stof­flichen wie auch fein­stof­flichen Ebe­nen existiert, also neben der materiellen Man­i­fes­ta­tion auch immer eine geistige Ebene vorhan­den ist. Dies ist ver­bun­den mit der Vorstel­lung, dass der Men­sch (sowie der Kos­mos ins­ge­samt) auf bes­timmten Fre­quen­zen “schwingt”: Je höher das Schwingungsniveau, desto bewusster ist sich der Einzelne der kos­mol­o­gis­chen Zusam­men­hänge; der Grad der Schwingung lässt sich durch bes­timmte Prak­tiken und die Lebens­führung bee­in­flussen. Die das Uni­ver­sum durch­drin­gen­den Energien, Fre­quen­zen und Schwingun­gen repräsen­tieren zugle­ich Infor­ma­tio­nen, die untere­inan­der kom­mu­nizieren und sich dadurch bee­in­flussen. Diese uni­verselle Ver­net­zung führt zu per­ma­nen­ter Anziehung oder Abstoßung aller Dinge, Lebe­we­sen oder Ereignisse. Zufälle existieren deshalb nicht mehr, son­dern alle Begeg­nun­gen und Zustände wer­den prinzip­iell als sinnhaft und durch Anziehung her­beige­führt ver­standen. Dem indi­vidu­ellen men­schlichen Willen kommt hier­bei eine beson­dere Rolle zu, da davon aus­ge­gan­gen wird, dass nicht nur Hand­lun­gen, son­dern auch Gedanken Kon­se­quen­zen haben.
Beispiel­sweise sollen Lebenssi­t­u­a­tio­nen, aber auch materielle Güter durch gedankliche Konzen­tra­tion und eine pos­i­tive innere Grund­hal­tung ange­zo­gen wer­den kön­nen. Gle­ich­es gilt jedoch auch für Ver­luste und neg­a­tive Zustände, wie etwa Krankheit­en. Dem und der Einzel­nen obliegt somit eine starke Ver­ant­wor­tung für die Aus­gestal­tung seines und ihres Lebens und das, was ihm und ihr wider­fährt. Die Men­schheit als Ganzes befind­et sich laut eso­ter­ischen Lehren derzeit (noch) in einem defiz­itären Zus­tand, in dem nur wenige Auser­wählte das neue Bewusst­sein­sniveau erre­icht haben. Dabei wird in der Über­be­to­nung des Materiellen ein­er der Haup­tkri­tikpunk­te an jet­zi­gen gesamt­ge­sellschaftlichen Prob­lematiken fest­gemacht. Es gilt, den Dual­is­mus von Geist und Materie zu über­winden, dem Geisti­gen mehr Raum zu geben und let­ztlich ein har­monis­ches Gle­ichgewicht zu find­en. Die jet­zige Zeit wird als eine Phase des Umbruchs gese­hen, die in ein neues Zeital­ter (“New Age”) mün­det, welch­es durch friedliche Koex­is­tenz und höheres Bewusst­sein geprägt sein wird. Bis dahin wirken die Men­schen, die jet­zt schon “höher schwin­gen”, als Vor­boten (manch­mal beze­ich­net als “Lichtar­beit­er”) der neuen Zeit.
Eine präzise oder gar ein­heitliche Gottesvorstel­lung existiert nicht und ist in der Regel indi­vidu­ell aus­geprägt. Der Men­sch sowie das Sein an sich gel­ten aber als Teil des “Göt­tlichen”. Etablierte religiöse Vorstel­lun­gen wer­den eso­ter­ischen Denkmustern angepasst. So taucht beispiel­sweise Jesus nicht mehr in der christlichen Bedeu­tung auf, son­dern erhält eine Funk­tion als “Chris­tus-Fre­quenz”.
Dem Wis­sen um die “wahren Zusam­men­hänge” kommt inner­halb eines eso­ter­ischen Welt­bildes ein großer Stel­len­wert zu, wobei dieses Wis­sen prinzip­iell jedem Men­schen zur Ver­fü­gung ste­ht, der bere­it ist, es durch “geistige Öff­nung” und eigene Erfahrung zu erlan­gen. Hier­bei wird teil­weise auf das Vorhan­den­sein ein­er uni­versellen Wis­sensquelle (manch­mal beze­ich­net als “Akasha-Chronik”) rekur­ri­ert, die das gesamte Wis­sen der Men­schheit enthält. Die Eso­terik posi­tion­iert sich als gren­züber­schre­i­t­en­des Wis­senssys­tem, das sowohl natur­wis­senschaftliche als auch spir­ituelle und erfahrungs­basierte Erken­nt­nis vere­ini­gen will. Ins­beson­dere Erken­nt­nisse der Quan­ten­physik wer­den gerne rezip­iert und anschlussfähig gemacht, um eso­ter­ische Zusam­men­hänge als logisch und ratio­nal darstellen zu kön­nen.

Praxis

Wie die Grun­dele­mente eines eso­ter­ischen Welt­bildes ist auch das Spek­trum eso­ter­isch­er Prak­tiken äußerst bre­it gefächert und nicht abgrenzbar von anderen religiösen und auch nicht-religiösen Prak­tiken. Fast alle lassen sich je nach Kon­text und Beurteilung als eso­ter­isch oder nicht eso­ter­isch beze­ich­nen – sowohl vom Prak­tizieren­den als auch vom Außen­ste­hen­den. Unter dem Schlag­wort Eso­terik find­en sich z.B. Astrolo­gie, Chan­nel­ing, Karten­le­gen, Pen­deln oder die Ver­wen­dung von Edel­steinen. Viele Meth­o­d­en sind auf Heilung aus­gelegt, oft­mals unter Bezug­nahme auf so genan­nte kos­mis­che Energien oder (Selbst-)Heilungskräfte: Rei­ki, Geis­theilung, Bach­blüten, Aura­so­ma, Aro­mather­a­pie, schaman­is­tis­che oder ayurvedis­che Ver­fahren sind nur eine kleine Auswahl. Essen­ziell sind auch Meth­o­d­en, die der (Selb­st-) Erken­nt­nis dienen, wie etwa Med­i­ta­tion oder Yoga. In der Regel wer­den die Prak­tiken aus ihrem ursprünglichen Kon­text her­aus­gelöst und in ein eso­ter­isches Deu­tungsmuster inte­gri­ert, sodass aus ein­er Vielzahl von Tech­niken indi­vidu­ell gewählt wer­den kann und eine Offen­heit gegenüber Neuem beste­ht.

Filme

The Secret (2006, Regie: Drew Heri­ot)
What the Bleep do we (k)now!? (2004, Regie: William Arntz, Bet­sy Chas­se, Mark Vicente)
Hair (1979, Regie: Miloš For­man)

Literatur

Bochinger, C. 1995. „New Age“ und mod­erne Reli­gion: Reli­gion­swis­senschaftliche Analy­sen. 2., durchge­se­hene und kor­rigierte Auflage. Güter­sloh: Kaiser.
Faivre, A. 2001. Eso­terik im Überblick: Geheime Geschichte des abendländis­chen Denkens. Herder-Spek­trum 4961. Freiburg: Herder.
Stuck­rad, K. von. 2004. Was ist Eso­terik? Kleine Geschichte des geheimen Wis­sens. München: Beck.
Knoblauch, H. 2009. Pop­uläre Reli­gion: Auf dem Weg in eine spir­ituelle Gesellschaft. Frank­furt am Main: Cam­pus.
Sut­cliffe, S. 2003. Chil­dren of the New Age: A his­to­ry of spir­i­tu­al prac­tices. Lon­don: Rout­ledge.

Autor*innen: Melanie Möller, Mar­tin Rader­ma­ch­er © REMID 2011

Kurz­in­for­ma­tion Reli­gion “Eso­terik” als PDF-Datei

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